IVCO 2021 Konferenz: Inklusive Freiwilligenarbeit für globale Gerechtigkeit

Ein Bericht von Regina Fuchs, Koordinatorin für inklusives Auslandsengagement bei bezev.

Die weltweit größte internationale Konferenz mit Fach- und Freiwilligenorganisationen (sog. IVCO) befasste sich vom 18.-20. Oktober zweieinhalb Tage intensiv mit der Frage, wie Freiwilligenarbeit möglichst inklusiv gestaltet werden kann. Dabei umspannte dies nicht nur das Ansinnen einer höheren Diversität von internationalen Volunteers[1], sondern öffnete auch der Dekolonialisierungsdebatte den Raum.

Hinter der IVCO steht das International Forum for Volunteering in Development (kurz Forum), ein Netzwerk von Organisationen, die im Bereich Fach- und Freiwilligenarbeit tätig sind. Pandemiebedingt fand die Konferenz auch dieses Jahr digital statt und wurde von der Mitgliedsorganisation ActionAid Hellas aus Griechenland ausgetragen. Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass koloniale und eurozentristische Machtstrukturen noch immer die Welt prägen und ihnen ein struktureller Rassismus inhärent ist. Dieses Denken wirkt -bewusst und unbewusst – auch in die Entwicklungszusammenarbeit und die Freiwilligenarbeit hinein. So ist in der internationalen Freiwilligenarbeit nach wie vor der Anteil Nord-Süd-Volunteers viel höher als der Anteil Süd-Nord-Volunteers, was impliziert, dass Hilfe und Unterstützung aus dem Globalen Norden in den Globalen Süden gebracht wird. Ziel wäre hier, die Freiwilligenprogramme reziproker zu gestalten.

Auch beim Blick auf die Gruppe der Volunteers selbst fällt auf, dass diese – global betrachtet – sehr homogen ist und sich vor allem aus weißen Menschen der Mittelschicht zusammensetzt. Wie ein roter Faden zieht sich die Forderung nach strukturellen Veränderungen durch die Konferenz. Der Anspruch auf Diversität endet nicht damit, die weitgehende Homogenität durch einzelne Volunteers, die nicht der Mehrheitsgruppe angehören, zu entzerren, sondern die Strukturen so zu verändern, dass die Programme tatsächlich für eine diverse Freiwilligenschaft zugänglich werden. Für eine neue Ausrichtung (directionality) der Freiwilligenarbeit bedarf es der Bereitschaft von Organisationen, sich auseinanderzusetzen mit der Wirkung (neo-kolonialer) Machtstrukturen und Denkmustern, die die Gestaltung der Programme bisher beeinflusst hat.

Als Hilfestellung für diesen Prozess wird der Global Standard for Volunteering for Development vorgestellt[2]. Entworfen wurde der Globale Standard vom Forum mit dem Ziel, Organisationen dabei zu unterstützen verantwortliche und wirkungsvolle Freiwilligenarbeit umzusetzen. Einige Organisationen berichteten von ihren positiven Erfahrungen und sehen das Tool auch als gute Möglichkeit der Organisationsentwicklung. Im Global Standard stehen die Bedarfe der Menschen einer Region oder Kommune im Vordergrund und der Einsatz von Volunteers richtet sich daran aus. Es gibt Tipps und Anregungen zur Planung und der Wirkungsmessung von Projekten. Der Begriff Inklusion fällt im Global Standard nicht, ist ihm in der Sache jedoch inhärent, da die Leitlinien des Handelns der Do-no-Harm-Ansatz und der rechtbasierte Ansatz sind. Beide haben zum Ziel, Benachteiligung, Verstöße gegen Menschenrechte und ungleiche Chancen- und Machtverteilung abzubauen. Im Bereich Volunteers finden sich Inklusionsaspekte beispielsweise hinsichtlich der Öffentlichkeitsarbeit und Anwerbung potentieller Volunteers, indem der Global Standard darauf hinweist, dass die Maßnahmen so gestaltet werden, dass sie Personen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen ansprechen.

Abgerundet wurde das Programm durch Überlegungen und Diskussionen zu der zukünftigen Ausrichtung von Freiwilligenarbeit. Die Covid-19-Pandemie forderte die traditionelle Freiwilligen-arbeit heraus und gab den Blick frei für andere Formen, wie der Süd-Süd- und der lokalen Freiwilligenarbeit, die es zwar schon immer gab, der aber nur sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Organisation Voluntary Services Overseas (VSO), die weltweit aktiv ist, stellte erste Ergebnisse ihrer Forschung zu „Blended Volunteering“ vor. Untersucht wird das Zusammenspiel verschiedener Formen des Volunteering und welche Wirkungen dadurch erzielt werden können. Auch wenn viele Aspekte noch nicht hinreichend erforscht sind, scheint es, als stelle eine Mischung verschiedener Formen von Volunteering in einem Projekt durchaus eine gute Möglichkeit dar[3].

In der Konferenz wurde ein breiter Inklusionsbegriff verwendet, der nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern alle Gruppen einbezieht, die gegenwärtig in der Freiwilligenarbeit unterrepräsentiert sind (oder übersehen werden). Am dritten Tag wurden Beispiele aus der Praxis präsentiert, die u.a. die Themen Gender, Menschen mit Behinderung und Menschen aus indigenen Gemeinschaften umfassten. Auch wir erhielten die Möglichkeit, die von bezev entwickelte Strategie zur inklusiven Öffnung internationaler Freiwilligendienste vorzustellen. Viele Entsendeorganisationen haben Menschen mit Beeinträchtigung/Behinderung nicht als Zielgruppe im Blick, wenn es auch eine grundsätzliche Offenheit gibt, potentielle Freiwillige mit Beeinträchtigung/Behinderung zu beraten und zu entsenden. Ein erster Schritt ist daher, dass sich Mitarbeitende von Organisationen dessen bewusst werden und sich (selbst-) kritisch mit den eigenen Strukturen und den darunter liegenden Einstellungen und Handlungsmechanismen befassen. Durch individuelle Beratung, Begleitung und Schulungsangebote können wir Organisationen in allen Phasen – angefangen bei der Öffentlichkeitsarbeit, über die Auswahl und Vorbereitung bis zur Entsendung – unterstützen. Dabei können wir zurückgreifen auf vielfältige praktische Erfahrungen und Know-how, sei es bei Fragen zu Versicherungen oder worauf zu achten ist, wenn bspw. ein*e Freiwillige*r mit einer körperlichen Einschränkung entsendet wird.

Trotzdem wir uns bei bezev intensiv mit Fragen von Chancengleichheit, Inklusion und Teilhabe befassen, war die Teilnahme an der Konferenz sehr wertvoll und hat neue Impulse und Denkanstöße mit auf den Weg gegeben.


[1] Im internationalen Sprachgebrauch umfasst der Begriff „volunteers“ (dt. Freiwillige) sowohl Fach- und Entwicklungsdienste als auch internationale Freiwilligenprogramme. Im Folgenden daher als „Volunteers“ bezeichnet.

[2] Link: forum-ids.org/wp-content/uploads/2019/10/Global-Standard-for-Volunteering-for-Development-October-2019.pdf

[3] Link: www.vsointernational.org/news/blog/volunteering-together-do-we-really-know-how-it-works

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