Krisenerprobt und zukunftsfest: Freiwilligendienstträger und ihr Potential (nicht nur) in der Pandemie

Ein Artikel von Nicole Andrée und Jan Gildemeister, Geschäftsführer der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) e.V.

Der Artikel „Krisenerprobt und zukunftsfest: Freiwilligendienstträger und ihr Potential (nicht nur) in der Pandemie – Ergebnisse einer Umfrage“ erscheint in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Voluntaris (2/2021) und stellt eine Analyse der Erfahrungen von Freiwilligendienstträgern im Umgang mit den Herausforderungen und innovativen Handlungsmöglichkeiten in der Pandemie dar. Lesen Sie hier eine Zusammenfassung des Artikels.

In Krisen liegen häufig auch Chancen - sie müssen nur genutzt werden. Die Träger von Internationalen Freiwilligendiensten sind per se gewohnt, auf Krisensituationen in hochkomplexen Kontexten bei Freiwilligen, in Entsendeländern oder aufgrund von VISA-Problemen flexibel und lösungsorientiert zu reagieren. Die dafür erforderliche Kreativität und Flexibilität ist Teil ihrer Kultur und zumeist auch ihrer Struktur.

Die COVID-19-Pandemie war und ist weiterhin für Träger, ihre Partner und Einsatzstellen sowie die Freiwilligen eine besonders große Herausforderung. Nicole Andrée hat im Auftrag der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) im Februar 2021 in Interviews mit 12 Trägern u.a. erfragt, welche Impulse und Innovationen aus der Krise hervorgingen bzw. inwiefern sie Katalysator für laufende Entwicklungen war.

Die Ergebnisse flossen ein in den Artikel „Krisenerprobt und zukunftsfest: Freiwilligendienstträger und ihr Potential (nicht nur) in der Pandemie – Ergebnisse einer Umfrage“ von Nicole Andrée und Jan Gildemeister in der Zeitschrift Voluntaris 2/2021, aus dem im Folgenden Teile übernommen wurden. Die Berichte über die Erfahrungen mit den Herausforderungen der Pandemie sind sicherlich exemplarisch für die viele Träger.

In der Befragung wurde deutlich, dass die Trägerszene sich in der Krisensituation als hochresilient erwies und in kurzer Zeit und erstaunlichem Umfang ihre Arbeit an die veränderten Bedingungen anpassen konnte. Neben der grundsätzlichen Kompetenz der Träger bzw. vieler Mitarbeiter*innen lag dies auch an der Solidarität und Vernetzung der Träger untereinander sowie mit ihren Partnerorganisationen und Dachverbänden, welche Lern- und Anpassungsprozesse erheblich förderten und die Grundlage für einen beachtlichen Entwicklungs- und Qualitätsschub legten. Die Anpassungsprozesse und Innovationen wurden wesentlich durch den intensiven Austausch der Organisationen untereinander, der von den Dachverbänden ab März 2020 in hoher Frequenz organisiert und koordiniert wurde, unterstützt. In kurzen Abständen wurden nicht nur regelmäßig wichtige Neuerungen in den Förderprogrammen kommuniziert, Träger teilten auch bereitwillig ihre Lernerfahrungen und Best Practice-Beispiele miteinander und profitieren noch jetzt von der starken Vernetzung innerhalb der Dachverbandsstrukturen. Der Ansatz des Voneinander-Lernens, eine Kernidee des Freiwilligendienstes, zeigte sich auch als eine der wichtigsten Ressourcen der Träger, um sich im Austausch miteinander aber auch mit Partnerorganisationen, Ehrenamtlichen und Freiwilligen so schnell und erfolgreich auf die veränderten Bedingungen einzustellen.

Zu den Ergebnissen dieser Transformationsprozesse gehörte die Umstellung pädagogischer Angebote auf digitale Formate, die über die Pandemie hinaus Wirkung haben dürfte. Dabei wurden nicht nur die neu entdeckten Möglichkeiten, sondern auch die Grenzen digitaler Tools ausgelotet, zum Beispiel in Hinblick auf pädagogisch herausfordernde bzw. sensible Themen oder bezüglich gruppendynamischer Prozesse. Die Träger sind sich darin einig, dass reale Begegnung – ob im Freiwilligendienst, in der Bildungsarbeit oder in der Partnerzusammenarbeit – unverzichtbar für gegenseitiges Verständnis und Begegnungsarbeit sind und damit auch weiterhin den Kern ihres Selbstverständnisses bilden. Die Digitalisierung ermöglicht es jedoch in Zukunft, Ansätze flexiblerer, kürzerer oder kontinuierlicherer Bildungsarbeit gezielt mit persönlichen Begegnungsmaßnahmen zu kombinieren. Mit dem Auslaufen der Pandemie-Beschränkungen ist daher mit einer Neuordnung der Bildungsarbeit mit unterschiedlichen Präsenz-, Remote- und hybriden Formaten auf der Basis von Aufwand-Nutzen-Abwägungen, ökologischen Überlegungen und der Möglichkeit, diversere Zielgruppen zu beteiligen, zu rechnen.

Von der Weiterentwicklung bzw. Verstetigung der neuen Kommunikationsformen und -kanäle könnte auch die Öffentlichkeitsarbeit der Träger profitieren und dadurch eine größere, ggf. auch diversere Zielgruppe erreichen. Parallel wird die Diskussion um Schattenseiten der Digitalisierung weiter an Fahrt gewinnen mit der Frage, welche Tools unter welchen Bedingungen genutzt werden sollten. Dies dürfte sich auch in der pädagogischen Auseinandersetzung mit Themen wie die Datenmacht von Megakonzernen, Ressourcenverbrauch im Technologiesektor oder Risiken sozialer Medien niederschlagen.

Die Intensivierung der Seminararbeit seit April 2020 und die gleichzeitige Erweiterung des pädagogischen Themenspektrums könnten das Selbstverständnis vieler Träger verändern und ihnen neue Perspektiven eröffnen. Als kontinuierlicher Bildungspartner junger Menschen konnten die Träger in einer globalen Krisensituation deren persönliche und politische Anliegen aufgreifen und ihnen digitale Begegnungsräume mit hohen partizipativen Anteilen anbieten. Die Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit und die Vertiefung schon behandelter bzw. das Aufgreifen neuer Themen wie Rassismus, Diversität oder Klimawandel bzw. Nachhaltigkeit könnten dazu führen, dass diese Betätigungsfelder verstetigt werden. Digitale Formate und neue Kooperationspartner aus der Bildungsarbeit erschließen dabei möglicherweise Zugänge zu weiteren Zielgruppen über den Freiwilligendienst hinaus.

Ob und wie vor allem die Träger mit Programmen im globalen Süden zu einer neuen „Normalität“ zurückfinden, ist nicht vorhersehbar. Für sie und ihre Partnerorganisationen bedrohen der (weitgehende) Ausfall zweier Jahrgänge und die finanziellen Einbußen trotz angepasster staatlicher Förderregelungen ihre Existenz bzw. stellen die Fortführung ihrer Freiwilligendienstprogramme in Frage. Neben den koordinierenden Partnerorganisationen sind auch viele Einsatzstellen im globalen Süden existentiell betroffen und werden vorerst keine Freiwilligen aufnehmen können.

Die Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen hat sich in der Pandemiezeit an vielen Stellen intensiviert, weil sowohl das eng abgestimmte Krisenmanagement als auch die immer wieder gemeinsam zu treffenden Entscheidungen die Kommunikation und das Verständnis füreinander stärkten. Die dabei entstandenen (digitalen) Innovationen werden auch in Zukunft zur Aufrechterhaltung und Intensivierung von Partnerschaften genutzt werden. Nachdem zunächst die geteilte Verantwortung für die Freiwilligen im Fokus stand, ging es schnell auch um die Solidarität miteinander. Viele Träger in Deutschland suchen nach Wegen, ihre Südpartner finanziell zu unterstützen. Bei allen Unsicherheiten auch noch für den nächsten Jahrgang 2022/23: Alle Beteiligten setzen sich mit großem Engagement dafür ein, das wirkungsvolle Instrument Freiwilliges Internationales Jahr auf dem Weg zu einer solidarischeren Welt zu erhalten und für die Zukunft gestärkt aufzustellen.

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