LHÜ-Feature: Die Zukunft des Entwicklungsdienstes in der Einen Welt - Teil 2

Jürgen Deile, Koordinator des Zivilen Friedensdienstes von Brot für die Welt in Kambodscha, schildert in Teil 2 für den LHÜ-Info, wie es zu dem drastischen Rückgang in den Vermittlungszahlen der Fach- und Entwicklungsdienste kommen konnte und zeigt mögliche Ansätz hin zur Ursachenbekämpfung auf.

Der Entwicklungsdienst steht vor Herausforderungen. Noch nie gab es einen so drastischen Rückgang in den Vermittlungszahlen dieses solidarischen Personaldienstes. Ist die Personalvermittlung als Instrument der Entwicklungspolitik überholt? Hat das Entwicklungshelfer-Gesetz (EhfG) als Grundlage ausgedient? Ist mit dem freiwilligen Lerndienst der gelebten Solidarität genüge getan und die touristische Fernreise als interkulturelle Erfahrung ausreichend?

Mit dem Entwicklungshelfer-Gesetz (EhfG) vom 18. Juni 1969 wird ein solidarischer, ohne Erwerbsabsicht geleisteter Dienst von berufserfahrenen Fachkräften für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung sozial abgesichert. Dank der geltenden sozialversicherungsrechtlichen Vereinbarungen in der EU können auch EU-Bürger solch einen solidarischen Dienst im Rahmen des EhfG absolvieren. Das Gesetz schreibt vor, dass der Dienst in einem Land auf der DAC-Liste erfolgen muss und definiert, welche Organisationen diese besondere Form der arbeitsrechtlichen Regelung anwenden dürfen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat zivilgesellschaftliche, kirchliche und staatliche Träger anerkannt, die entsprechende Dienstverträge abschließen. Die Träger müssen den vorgeschriebenen Leistungskatalog zur Absicherung des Dienstes einhalten und die Auflagen zur Begleitung der Fachkräfte erfüllen. Die Finanzierung der Fachkraftverträge liegt in der Verantwortung der Träger.

Eine Definition des Entwicklungsdienstes leitet sich aus dem EhfG ab. Weder der freiwillige Lerndienst noch die Arbeit in der Entwicklungszusammenarbeit mit Erwerbsabsicht gelten als Entwicklungsdienst. Das EhfG schafft eine einzigartige Form der sozialen Absicherung für diesen Dienst, die neben den arbeitsrechtlichen Regelungen auch Raum für zeitgemäße Anpassungen und Weiterentwicklungen durch die Träger gibt.

Das Deutsche Evaluierungsinstitut für Entwicklungszusammenarbeit (DEval) hat 2015 bestätigt, dass der Entwicklungsdienst, also die Vermittlung von Fachkräften nach dem EhfG, auch nach fünf Jahrzehnten ein wirksames Instrument der Entwicklungszusammenarbeit darstellt. Vor allem auch weil das EhfG es den Trägern ermöglicht, zeitgemäße Anpassungen und Weiterentwicklungen vorzunehmen. Konzepte wie der Zivile Friedensdienst (ZFD) oder der Klimadienst können weiterhin auf dem Gesetz aufbauen. Wie wäre es den feministischen Ansatz in der Entwicklungspolitik auch mit einem All-Gender-Dienst zu unterstützen, der gezielt und Trägerübergreifend das Anliegen aufnimmt?

Die Weiterentwicklung von Vermittlungen nach dem EhfG hat auch andere Vermittlungsarten gefördert, anstatt sie auszuschließen. Brot für die Welt ist der einzige nicht-staatliche Träger im ZFD der es noch nicht geschafft hat Friedensfachkräfte aus dem Globalen Süden in das ZFD Programm zu integrieren. Der auf dem EhfG im Kern aufbauende ZFD setzt Brot für die Welt unter Druck, auch im evangelischen Bereich wieder an die eigene Geschichte des Personaldienstes anzuknüpfen und Vermittlung von Fachkräften aus dem Globalen Süden in den Globalen Süden oder in den Globalen Norden in die personelle Förderung von Partnerorganisationen aufzunehmen. Bei Brot für die Welt wird deutlich, dass es nicht ausreicht, wenn Partnerorganisationen aus dem Globalen Süden oder evangelische Missionswerke im Norden die Forderung nach Einbezug von Fachkräften aus dem Globalen Süden in die evangelischen Personalvermittlungsprogramme alleine vorbringen.

Ein wichtiger Aspekt des Entwicklungsdienstes ist die fehlende Erwerbsabsicht, da dieser als zeitlich begrenzter Dienst verstanden wird, der nicht zur dauerhaften Einkommenserzielung dient. Daher gehen Fachkräfte in der Regel vor und nach dem Entwicklungsdienst einer Erwerbstätigkeit nach, die nicht unbedingt im entwicklungspolitischen Bereich liegen muss und so hilft, entwicklungspolitische Ideen gesamtgesellschaftlich zu verbreiten.

Um die Wirkung des EhfG zu entfalten, ist eine Verbindung des Dienstes mit einem Engagement nach dem Dienst hilfreich. Die Träger des Entwicklungsdienstes haben erlebt, wie die Fusion des staatlichen Entwicklungsdienstes DED zur GIZ die Verbindung zur Inlandsarbeit unterbrochen hat.

Die aktuelle Krise des Entwicklungsdienstes mit dem dramatischen Rückgang von Fachkraftvermittlungen nach dem EhfG wird meiner Ansicht nach weder durch einen gesunkenen Bedarf an Fachkraftvermittlungen seitens der Partnerorganisationen aus dem Globalen Süden noch durch ein überholtes entwicklungspolitisches Instrument oder Gesetz verursacht. Der Entwicklungsdienst ist weiterhin als solidarischer Fachdienst von Partnerorganisationen gefragt, und das EhfG bietet eine geeignete Grundlage. Bei der Ausgestaltung des Dienstes und der Zusammenarbeit der Träger untereinander und mit dem BMZ kann der Zivile Friedensdienst als Blaupause dienen. Das dem ZFD und Klimadienst zugrunde liegende Konzept lässt sich auch auf weitere Sektoren ausweiten.

Der Rückgang der Vermittlungszahlen ist sicherlich auch auf die COVID-19-Pandemie und ihre besonderen Herausforderungen für den internationalen Personalaustausch zurückzuführen. Ein weiterer Faktor ist die zunehmend schwierige Rekrutierung von Fachkräften, die von allen Trägern berichtet wird. Heutzutage können interkulturelle berufliche Erfahrungen im entwicklungspolitischen Kontext nicht mehr ausschließlich über den Entwicklungsdienst erlangt werden. Auch Lerndienste decken bereits einen Bedarf, der dann nicht mehr über den Entwicklungsdienst gedeckt werden muss. Neben der COVID-19-Pandemie und der geringeren Anzahl von Interessenten spielt auch eine Rolle, dass aufgrund politischer Restriktionen der legale Aufenthalt für Fachkräfte schwieriger geworden und die Besetzung von Stellen langwieriger ist, was Geduld im Bewerbungsprozess erfordert.

Der Dienst nach dem EhfG findet heute hauptsächlich im Bereich Frieden und Gerechtigkeit statt und weniger in technisch oder medizinischen Arbeitsfeldern. Im Bereich Frieden und Gerechtigkeit sind Partnerorganisationen in vielen Staaten mit zunehmenden politischen Einschränkungen konfrontiert wozu auch die internationale Vernetzung durch Fachkraftvermittlungen gehört. Ein weiterer Grund für den Rückgang der Vermittlungen sind zunehmende Hindernisse bei der Finanzierung der Träger und ihres Programms.

Allerdings sind all diese Faktoren nicht die Hauptursache für den Rückgang der Nutzung des EhfG. Die größten Einbrüche in den Vermittlungszahlen sind vor allem bei zwei Trägern aufgrund von Fusionen zu finden, nämlich bei Dienste in Übersee im evangelischen Bereich und vor allem bei der GIZ im staatlichen Bereich. Im evangelischen Bereich gelang es nach der ersten Fusion, den Einbruch in der personellen Förderung von Partnerorganisationen wieder aufzufangen. Dieser Erfolg wurde jedoch durch die zweite Fusion im evangelischen Bereich zu Brot für die Welt zunichte gemacht, und es gelang nur noch, die Fachkraftvermittlungen auf einem niedrigen Niveau zu stabilisieren. Während Brot für die Welt hauptsächlich auf Fragen der finanziellen Förderung von Partnerorganisationen ausgerichtet ist, hat die personelle Förderung dort eine untergeordnete Bedeutung. Das wirkte sich auf die Integration des Personaldienstes in dieser großen Verwaltungsstruktur und auf die Ausprägung eines evangelischen Verständnisses von Entwicklungsarbeit aus. Zum Glück blieb bei den Kirchen die katholische Seite von teuren Fusionen verschont. Dort konnten die Vermittlungszahlen gehalten und die Programme unter Einbezug von Fachkräften aus dem Globalen Süden ausgebaut werden. Im ZFD gelang es sogar, mit einem um etwa ein Drittel geringeren Mittelvolumen die Vermittlungszahlen des staatlichen Trägers zu übertreffen.

Der Einbruch im staatlichen Bereich war anders. Bei der GIZ gelang es den Verantwortlichen nicht, den Einbruch von mehr als 75% der Vermittlungen zu stoppen. Das Scheitern der GIZ-Leitung bei der Integration des staatlichen Entwicklungsdienstes in die eigenen Strukturen ist strukturell begründet. Den Personaldienst ohne Erwerbsabsicht nach dem EhfG in eine Organisation zu integrieren, die eine marktorientierte Positionierung erwartet und Vermittlungen gemäß einem Auftragsverfahren durchführt, führt zu einem unlösbaren Widerspruch, selbst für die Vorstände der GIZ. Die im Programm Ziviler Friedensdienst im Fusionsprozess erreichte Ausnahme, das ZFD Programm bei der GIZ im Zuwendungsbereich zu belassen führte dazu, dass das ZFD Programm in der GIZ sehr viel erfolgreicher umgesetzt werden konnte als das EhfG-Stammprogramm der Fachkraftvermittlungen.

Das Scheitern der Fusion im staatlichen Bereich und die fehlende Initiative des BMZ hier Korrekturen vorzunehmen, bedroht das EhfG in seiner Substanz. In den modern konzipierten Programmen der Fachkraftvermittlung unter EhfG wird ein funktionierender staatlicher Dienst benötigt. Der ZFD kann seine trägerübergreifenden Strategien nur umsetzen, wenn auch staatliche Partner einbezogen werden können – dazu braucht es einen staatlichen Träger. Daher liegt es im Interesse der Zivilgesellschaft und der Kirchen, dass die Krise des Entwicklungsdienstes im staatlichen Bereich überwunden wird. Es wäre auch wünschenswert, wenn dem evangelischen Personaldienst aus seiner institutionellen Begrenzung geholfen würde, damit er wieder seine einst vorbildliche Rolle im entwicklungspolitischen Diskurs übernehmen kann.

Für den evangelischen Bereich würde ich meiner Landeskirche vorschlagen, auch beim Personaldienst auf die Stärke der Vielfalt im evangelischen Bereich zu vertrauen und den entwicklungspolitischen Personaldienst im Kreis der landeskirchlichen Missionswerke anzusiedeln. Dort ist der Einbezug von Fachkräften aus dem Globalen Süden in Personalprogramme längst etabliert, und es wird ernsthaft versucht, institutionelle Macht mit Partnern aus dem Globalen Süden zu teilen. Ein erster Schritt der Auslagerung des Personaldienstes wurde bei Brot für die Welt gemacht. Die Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen bei der Vermittlung von Fachkräften muss nicht länger von den Regionalabteilungen durchgeführt werden, die hauptsächlich für die finanzielle Unterstützung der Partner zuständig sind. Diese Förderung erfolgt durch staatliche und kirchliche Mittel und unterliegt entsprechenden bürokratischen Standards und Verfahren, die sich auf das Gesamtwerk ausdehnen. Durch die Ausgliederung der personellen Förderung aus dieser Verwaltungsstruktur eröffnen sich bessere Chancen, den evangelischen Charakter des Personaldienstes in einer großen Organisation wiederzubeleben. Eine Integration in den Kreis der Missionswerke als nächster Schritt könnte auch finanziell förderlich sein. Dies würde zu schlankeren Hierarchien, weniger Verwaltungsaufwand und einer größeren Nähe zu den evangelischen Gemeinden bei den landeskirchlichen Missionswerken führen.

Der Widerspruch zwischen dem Auftrag der GIZ und dem Verständnis des EhfG als Dienst ohne Erwerbsabsicht wird sich im staatlichen Bereich meiner Meinung nach nur durch eine Auslagerung des Entwicklungsdienstes aus der GIZ lösen lassen. Eine mögliche Zuordnung des staatlichen Dienstes könnte bei Engagement Global erfolgen. Das EhfG lässt Engagement Global bereits heute als Träger zu. Bei Engagement Global sind bereits viele Programm angesiedelt die Wirkungen im Globalen Süden und Norden gleichermaßen erzielen. Im Gegensatz zur GIZ hat Engagement Global auch ein Mandat, den personellen Entwicklungsdienst mit der Rückkehrarbeit im Globalen Norden zu verbinden. Die Fachkraftvermittlungen von Engagement Global könnten durch Regierungsabkommen abgesichert und in Zusammenarbeit mit der GIZ den Bedarf von Partnern im Globalen Süden decken. Eingebettet in einen großen staatlichen Akteur, der bereits Erfahrung mit internationalen Freiwilligenprogrammen hat und mit dem Zuwendungsverfahren vertraut ist, könnten sich für die staatlichen Vermittlungen nach dem EhfG viele neue Chancen ergeben, die Inlandsarbeit zu stärken und moderne Programme über den ZFD und Klimadienst hinaus zu etablieren.

Die Vermittlung beruflich qualifizierter Fachkräfte mittleren Alters bleibt auch in Zukunft eine wichtige Grundlage für partnerschaftliche Zusammenarbeit. Diese Zusammenarbeit sollte nicht mehr nur von Nord nach Süd, sondern auch von Süd nach Süd und von Süd nach Nord erfolgen. Ein gut genutztes EhfG kann dabei ein stabiler Anker für Personalprogramme sein. Das EhfG benötigt jedoch auch einen staatlichen Träger, um den Bedarf im staatlichen Partnerfeld für solidarische Mitarbeit abzudecken. Dieser Träger muss dem EhfG Raum geben und die enge Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen und kirchlichen Akteuren in Auslands- und Inlandsprogrammen ermöglichen. Zivilgesellschaft und Kirchen müssen aber gemeinsam mit dem BMZ den entsprechenden Rahmen schaffen.

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