LHÜ Feature: Diversität als Chance für Personaldienste - Ein Interview mit dem Good News Magazin

Auf der Jobmesse ENGAGEMENT WELTWEIT ging es dieses Jahr vor allem darum, wie vielfältige Lebensläufe die sogenannte Entwicklungzusammenarbeit bereichern können. Das Good News Magazin war dabei und Co-Gründer Florian Vitello zu Gast als Panelist zum Thema Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation in der Internationalen Zusammenarbeit (IZ). Ein Interview des AKLHÜ mit Florian Vitello.

Dieses Jahr war das Good News Magazin zum ersten Mal offizieller Medienpartner der ENGAGEMENT WELTWEIT, Deutschlands einziger Job- und Fachmesse zum Thema „Arbeiten in der Entwicklungszusammenarbeit“. Zahlreiche Organisationen, die unter anderem mit Partner:innen in Afrika, Asien und Lateinamerika zusammenarbeiten, aber auch staatliche und private Akteure, wie die GIZ oder Beratungsfirmen, kamen in Siegburg zusammen.

Die Jobmesse wird alljährlich vom AKLHÜ e.V. organisiert und richtet sich insbesondere an berufserfahrene Fach- und Führungskräfte sowie an Hochschulabsolvent:innen und Berufseinsteiger:innen, die sich über ihre Arbeitsmöglichkeiten in der Entwicklungszusammenarbeit informieren möchten. An den Messeständen wird die entwicklungspolitische Arbeit im Ausland und in Deutschland vorgestellt. Außerdem berichten Ehemalige von ihren Erfahrungen.

Das Angebot wird umrahmt von Panel-Diskussionen mit Fachexpert:innen, die Bewerbungstipps geben und mehr über die Einstiegschancen, Qualifikationen und Karriereaussichten in der Entwicklungszusammenarbeit berichten. Dieses Jahr standen die Debatten und Impulse unter dem Motto „Diversität als Chance für Personaldienste“. Einer der Panelisten war Florian Vitello, Co-Gründer des Good News Magazin.


REDAKTION: Herr Vitello, Sie wurden als Experte für das Thema Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation in der Internationalen Zusammenarbeit eingeladen. Vielleicht vorab, was hat das Good News Magazin generell mit Entwicklungspolitik zu tun?

VITELLO: Wir sind kein Heft, das sich exklusiv auf Themen der EZ oder IZ spezialisiert. Allerdings kommen wir als Deutschlands erste crossmediale Marke für Positiven Journalismus ständig mit genau den Themen in Berührung, um die es auch auf der Messe ging: Friedensarbeit, Austausch auf Augenhöhe, Demokratieförderung, die Nachhaltigkeitsziele, Diversität als Chance – um nur ein paar zu nennen. Das sind alles globale Themen, die wir lokal anpacken müssen. Im Good News Magazin zeigen wir inspirierende Menschen und Organisationen weltweit, die konkrete Lösungsansätze für genau diese Herausforderungen und Probleme anbieten.

REDAKTION: Sie persönlich haben aber noch weitere Berührungspunkte mit entwicklungspolitischen Themen: Sie haben einen weltwärts-Dienst mit den Kolping Jugendgemeinschaftsdiensten gemacht, haben Entsendeorganisationen und Akteure der Internationalen Zusammenarbeit in Sachen Medienkompetenz beraten, den gemeinnützigen Verein MediaMundo gegründet und Sie sind Co-Autor des Papers „Postkolonialismus & Post-Development: Praktische Perspektiven für die Entwicklungszusammenarbeit“.

Vor diesem Hintergrund die Frage, lässt sich die Entsendung von Fachkräften angesichts der lautstarken Kritik zur Fortführung kolonialer Muster überhaupt noch rechtfertigen?

VITELLO: Zunächst einmal glaube ich, dass wir eine offenere und viel breiter geführte Debatte über Dekolonialisierungsprozesse brauchen. Vor allem sind diese Debatten meist sehr wissenschaftlich geführt und gehen komplett an der Realität der meisten Menschen vorbei. Zum anderen finde ich es in der Entwicklungszusammenarbeit entscheidend, dass noch viel stärker diejenigen zu Wort kommen müssen, die das Erbe der Kolonialzeit durch strukturellen Rassismus auch heute noch direkt betrifft. Allzu leichtfertig höre ich in EZ und IZ immer wieder das Mantra „Partnerschaft auf Augenhöhe“. Wer das ernst meint, muss auch Machtdistanzen abbauen.

Darüber hinaus bin ich aber ein glühender Fan internationaler Zusammenarbeit. Aus meiner Sicht ist das ein attraktives Arbeitsfeld und wir sollten weiterhin Menschen in andere Länder entsenden sowie andersrum auch hier bei uns empfangen. Nur die Rahmenbedingungen möchte ich gerne transformieren. An dieser Stelle bin ich aber optimistisch.

REDAKTION: Was stimmt Sie optimistisch?

Gerade erst habe ich für die aktuelle Printausgabe des Good News Magazin mit dem Titel „Auf der Suche nach dem guten Geld“ mit Dr. Lena Gutheil vom German Institute of Development and Sustainbility (IDOS) gesprochen. In dem Interview hat sie mir von Ansätzen berichtet, wie entwicklungspolitische Gelder flexibler und nachhaltiger verteilt werden können. Da gibt es schon eine ganze Menge progressiver Ideen und auch konkrete Strategien, die bereits angepackt werden.

Mir ist bewusst, dass die großen Strukturen politisch sehr verhärtet sind, aber auf Ebene der zivilgesellschaftlichen Akteure und privaten Initiativen hat sich sehr viel getan und tut sich weiterhin viel.

Wenn ich darüber hinaus reflektiere, was sich in der Wahrnehmung der Entwicklungszusammenarbeit (angefangen ja schon bei ihrer Namensänderung) getan hat, sehe ich Bewegung auf unterschiedlichen Ebenen. Als wir 2019 das Paper geschrieben haben, gab es außer lange bekannter Kritik an der „Entwicklungshilfe“ wenig praktische Lösungsansätze. Wir schrieben aus Sicht weißer Menschen, die nicht selbst von Rassismus betroffen waren, und stießen im Schreibprozess stellenweise auf Unverständnis und Ablehnung.

Nachdem das Paper dann veröffentlicht war, wurden wir aber von allen wichtigen Akteuren der EZ eingeladen; meine Kolleg:innen waren bei diversen Seminaren, Workshops und Runden Tischen mit dabei. Und natürlich kamen wir unterwegs mit Menschen aus dem NGO-Sektor, aus dem kirchlichen Kontext, aus den Sozialverbänden, aus den entwicklungspolitischen Netzwerken, aus der Wirtschaft und aus GIZ und BMZ selbst in Berührung, die sich für eine progressivere EZ einsetzen. Ich lernte wichtige Initiativen wie die „Diplomats of Coulour“ im Auswärtigen Amt kennen und sogar einige Bundestagsabgeordnete hatten offene Ohren für unsere Anliegen. Das hat mich sehr in meiner Auffassung bestärkt, dass die EZ einen Zeitenwandel durchmacht. 

REDAKTION: In Ihrem Buch „Good News: Wie wir lernen, uns gegen die Flut schlechter Nachrichten zu wehren“ zeigen Sie, dass die Medienbranche eine ähnliche Transformation durchläuft. Sie haben Teile eines Kapitels und ein ganzes Unterkapitel klassischen entwicklungspolitischen Themen gewidmet. Warum sind diese wichtig für die Medien?

VITELLO: Medienschaffende kommen spätestens jetzt nicht mehr an globalen Themen vorbei. Damit ist über die Börsennachrichten aus New York hinaus explizit auch der berüchtigte Sack Reis in China gemeint. Es gab wohl noch keine Zeit, in der wir als Menschen uns deutlicher als Menschheit begreifen konnten und mussten: Ist der Sack Reis mit Pestiziden belastet? Wurde für seinen Anbau eine natürliche Fläche überschwemmt? Wie viel hat der Reisbauer für seine Arbeit verdient? Wie wurde der Sack Reis vom Yaugtze-Becken in den Supermarkt meiner Heimatstadt transportiert? Das alles hat konkrete Auswirkungen auf meine Gesundheit, meinen Geldbeutel und das Klima.

Medienschaffende müssen also verstärkt globale Themen in den Blick nehmen und die Transferleistung mitbringen, diese Themen lokal oder zielgruppenspezifisch aufzubereiten. Damit das gelingt, brauchen sie die gleichen medialen Schlüsselqualifikationen wie Menschen in der entwicklungspolitischen Arbeit.

REDAKTION: Das klingt einleuchtend. Aber weshalb ist andersherum Medienkompetenz aus ihrer Sicht so wichtig für erfolgreiche entwicklungspolitische Arbeit?

VITELLO: Ganz generell halte ich die Fähigkeit, mediale Formate durchdacht und erfolgreich zum eigenen Wohl oder dem unserer Gemeinschaft einsetzen zu können, im 21. Jahrhundert für beinahe genauso wichtig ist wie Lesen und Schreiben. Medienbildung ist heutzutage ein elementarer Baustein zum Beispiel für ein selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe.

Auf die entwicklungspolitische Arbeit gemünzt, betrifft das nahezu alle Bereiche. Angefangen bei der Bewerbung: Passende Ausschreibung finden, ansprechende Bewerbungsunterlagen erstellen, Informationen über Einsatzstellen recherchieren; dann geht es im Job weiter mit der Mittelakquise. Ob ich nun eine Crowdfunding-Kampagne aufsetzen will für die kleine NGO im Regenwald oder einen großen politischen Fonds abschöpfen muss, in beiden Fällen ist eine gute Kommunikationsstrategie der Schlüssel zum Erfolg.

Gleiches gilt auch bei der Wirkungsanalyse meines Projekts – was bringen die nachhaltigsten sozialen oder ökologischen Maßnahmen, wenn diese nicht ankommen? Das ist aber ein Klassiker, den wir bei unserer Arbeit mit MediaMundo erleben. Da kommen Organisationen auf uns zu, die haben einen wichtigen Workshop im Einsatzland zum Thema HIV-Prävention konzipiert, aber finden keine Teilnehmenden. Oder ein Bildungsstipendium, auf das sich niemand bewirbt.

Oder andersrum auch bei der Kommunikation in Deutschland. Wenn wir die EZ und IZ diverser und transparenter gestalten wollen, dann müssen wir erst einmal entwicklungspolitische Debatten in die breite Bevölkerung tragen. Komplexe Lieferketten – das Weihnachtsgeschäft lässt grüßen – aber auch die Benin-Bronzen im Museum gehen uns schließlich alle an. Ob nun im Entsendeland oder zuhause, es ist unerlässlich, dass ich meine Zielgruppe(n) finden und begreifen lerne und diese dann gezielt anspreche.

REDAKTION: Ist das nicht ein bisschen viel verlangt?

VITELLO: Es geht nicht darum, dass alle, die in der EZ tätig sind, abgebrühte Medienprofis sind. Vielmehr geht es um das Beherrschen der absoluten Grundlagen der Medienarbeit. Das ist ein Bisschen wie beim Lernen-des-Lernens in der Schule. Die einzelnen Kniffe kann sich wirklich jede:r selbst beibringen, wenn erst einmal ein Verständnis vorliegt, wie grundlegend dieses Wissen ist. Das passiert dann ohnehin automatisch, wenn du entweder für eine Sache brennst oder keine andere Wahl hast, weil du für deine Arbeit dringend ein bestimmtes Werkzeug brauchst. Ich finde, das kann man gerade ganz wunderbar bei den unzähligen neuen KI-Tools beobachten.

REDAKTION: Wo wir gerade schon beim Thema sind, müssen Fachkräfte in der EZ diese jetzt auch beherrschen?

VITELLO: Dazu kann ich im Einzelfall nur raten, denn viele KI-Tools erleichtern lästige, zeitaufwendige Aufgaben ungemein. Es gibt beispielsweise Programme zum Übersetzen langer Texte, für die mehrsprachige Transkription, für das Projektmanagement, für die Recherche sensibler Informationen und so weiter.

Viel spannender wird es aus meiner Sicht dann bei der konkreten Umsetzung meiner Ziele im Projekt. Es gibt beispielsweise bereits Predictive AIs, also komplexe, selbstlernende neuronale Netzwerke, die mithilfe von Geolocation und Wetterdaten Waldbrände oder Dürren vorhersagen können. Andere Programme können Krankheiten früh erkennen. Wieder andere wurden konzipiert, um Bewerbungsverfahren möglichst von menschlichen Vorurteilen zu befreien und Diversität zu befördern. Das war ja auch Thema der diesjährigen Jobmesse.

Die Möglichkeiten sind nahezu grenzenlos, gehen aber auch mit Herausforderungen und Gefahren einher. Wichtig ist daher, ebenso wie bei der Medienarbeit generell, dass es ethische Leitlinien gibt. Hier sind diejenigen gefragt, die Fachkräfte entsenden.

REDAKTION: Was muss ein solcher Leitfaden enthalten, der Fachkräften an die Hand gegeben wird?

Das eine sind technische, arbeitsrechtliche und datenschutzrelevante Fragen wie „Welche Tools benutzen wir und warum genau diese?“. Da gibt es bereits ganz wunderbare Beispiele aus der Medienlandschaft oder den Gewerkschaften.

Der andere Teil besteht aus berufsethischen Grundsätzen wie „Welche Bilder veröffentliche ich wie und wo über meine Arbeit“. Aus meiner Sicht ist das für alle Branchen, aber in besonderem Maße für die Arbeit im entwicklungspolitischen Bereich interessant. Denn in der EZ und IZ arbeite ich besonders häufig mit vulnerablen Gruppen und eigentlich fast immer in einem postkolonialen Kontext.

Deshalb wünsche ich mir durchdachte Leitlinien und Fortbildungen in Sachen Sensibilität bei der Berichterstattung aus anderen Ländern und Kulturen. Würdevoll über „fremde“ Menschen in der Heimat berichten und Vorurteile abbauen ist gerade vor wachsendem Nationalismus in Europa wieder wichtiger, denn jemals zuvor, und es will geübt sein!

Ich würde mir wünschen, dass jeder Mensch, der in den Bereichen EZ oder IZ tätig ist, weiß, was ein White-Saviour-Complex ist, den Pressecodex zu „Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid“ oder die Broschüre „Mit Kolonialen Grüßen“ von glokal e.V. kennt, das Video „The Danger of a Single Story“ von Chimamanda Ngozi Adichie gesehen hat und bei Spendenkampagnen für „den Globalen Süden“ in Gedanken einen rostigen oder goldenen Radiator Award vergibt.

Ich bin überzeugt, so können wir gefährliche Vereinfachungen und Verallgemeinerungen vermeiden und die entwicklungspolitische Arbeit zeitgemäß weiterentwickeln, um sie noch attraktiver für diverse Fachkräfte zu machen.

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