Die alljährliche und weltweit größte Konferenz von internationalen Fach- und Freiwilligendienstorganisationen (kurz IVCO) bringt Führungskräfte internationaler Freiwilligenorganisationen aus der ganzen Welt zu einem einzigartigen Dialog zusammen, der sich auf die Herausforderungen und Chancen konzentriert, mit denen sich die Entwicklungs- und Freiwilligenarbeit derzeit konfrontiert sieht. Die IVCO bietet den Mitgliedern des Forums – darunter auch der AKLHÜ – sowie Delegierten anderer Organisationen aus dem Feld die Möglichkeit, sich zu informieren, Ideen und innovative Praktiken auszutauschen, unterstützende Peer-Netzwerke aufzubauen und an der Gestaltung sektoraler Politik- und Advocacy-Initiativen mitzuwirken.
Die diesjährige IVCO fand vom 22.-26. Oktober 2023 in Kuala Lumpur, Malaysia, statt. In Zusammenarbeit mit dem Gastgeber Yayasan Sukarelawan Siswa (YSS) war das International Forum for Volunteering in Development (kurz Forum) als Träger Mitveranstalter der IVCO-Konferenz zum Thema „Eine neue Generation von Freiwilligen als Changemaker". An der Konferenz nahmen insgesamt 178 Delegierte aus 55 Ländern teil, die sich in persönlichen Gesprächen über das Potenzial der Freiwilligenarbeit junger Menschen austauschten. Die Richtung wurde durch ein gemeinsam mit IAVE entwickeltes Forschungspapier vorgegeben, das durch den Auftakt einer aufschlussreichen Blogserie über die Freiwilligenarbeit junger Menschen ergänzt wurde. Darüber hinaus hat ein in Auftrag gegebenes Diskussionspapier zum Thema „Understanding Inequalities in Volunteering Research and Evidence" anregende Diskussionsimpulse für die Teilnehmenden geliefert.
Während es vormittags jeweils immer ein Eröffnungsplenum gab, welches das entsprechende Leitthema einführte und den Rahmen setzte, fanden nachmittags jeweils verschiedene Breakout-Sitzungen und Workshops statt, welche die Möglichkeit boten, die Themen zu vertiefen, Erkenntnisse auszutauschen und weitere Diskussionen anzuregen.
Tag 1 - Verstehen
Mit dem erklärten Ziel, das Engagement für die neue Generation von Freiwilligen im Zentrum unserer Arbeit zu stärken, wurde am ersten Tag der Konferenz zunächst Bilanz gezogen und der aktuelle Stand der Freiwilligenarbeit für die neue Generation der jungen Freiwilligen und ihre Verbindung zur Freiwilligenarbeit in der Entwicklungszusammenarbeit beleuchtet. Auch der Einfluss, den junge Menschen auf die Umsetzung der 2030-Agenda haben, wurde dabei hervorgehoben.
Im Eröffnungsplenum („Reimagining Youth Volunteering – A New Generation of Changemakers“) herrschte großes Einvernehmen darüber, dass jungen Menschen, angesichts der existenziellen Bedrohung durch die Auswirkungen des Klimawandels und des Fortbestehens globaler Ungerechtigkeit und Ungleichheit, eine zentrale Rolle bei der Bewältigung dieser Herausforderungen zugutekommt, die es zu nutzen und zu fördern gilt. Dies liege nicht nur daran, dass sie mit den Folgen des Handelns vergangener Generationen konfrontiert sind, sondern auch daran, dass sie Energie, Dynamik und Innovation mitbringen. Die Freiwilligentätigkeit junger Menschen, so das gemeinsame Verständnis der Sprecher*innen, ist neben verschiedenen Formen des Aktivismus, der Interessenvertretung und der Jugendorganisation ein wichtiger Mechanismus, um Veränderungen zu bewirken.
Weltweit wird, nach Meinung der Redner*innen, zunehmend anerkannt, welche Rolle die Jugend als „Generation der Macher" bei der Gestaltung der Entwicklung auf nationaler und lokaler Ebene spielt. COVID-19 habe dies eindrucksvoll bewiesen, da junge Menschen eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung der Gemeinden während der Pandemie spielten. In ähnlicher Weise hat die Klimakrise die Handlungsfähigkeit junger Menschen und ihre Fähigkeit, den Wandel mitzugestalten, deutlich gemacht.
Es gebe jedoch auch eine wachsende Zahl von Belegen innerhalb und außerhalb der Freiwilligenarbeit, die zeigen, dass junge Menschen trotz der populären Rhetorik und der allgemeinen Anerkennung des jugendlichen Engagements für den Wandel oft von kritischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen oder lediglich zu einer informellen Teilnahme eingeladen werden. Dies berge die Gefahr, dass sich ihr Engagement weniger auf sie als Gestalter des Wandels konzentriere, sondern eher darauf, dass sie die Veränderungen herbeiführen, die andere als wichtig erachten. Es wurde daher vorgeschlagen, dass Entwicklungsakteure und politische Entscheidungsträger „einen Schritt zurücktreten müssen, damit junge Menschen einen Schritt nach vorne machen können", um die Freiwilligenagenda verstärkt für sich zu reklamieren.
Zur Frage, wie die Entwicklung eines förderlicheren Umfelds für Freiwilligenarbeit aussehen könnte, wurde vor allem die Notwendigkeit betont, auf die Besonderheiten des betreffenden Kontexts einzugehen, Hindernisse für die Beteiligung anzuerkennen und zu beseitigen und in vielen Fällen auch die Bedingungen für die Beteiligung selbst zu ändern. Denn was Freiwilligenarbeit bedeutet, kann von Ort zu Ort variieren und verschiedene junge Menschen engagieren sich aus unterschiedlichen Gründen.
Tag 2 - Vernetzen
Am zweiten Tag der Konferenz loteten die Delegierten aus, wie junge Menschen dazu gebracht werden können, eine führende Rolle bei der Freiwilligenarbeit in der Entwicklungszusammenarbeit einzunehmen und gleichzeitig die Fähigkeiten und Erfahrungen zu verbessern, die sie brauchen, um bei dem, was sie tun, erfolgreich zu sein. Darüber hinaus wurden bewährte Praktiken zur Inklusion von Freiwilligen hervorgehoben und die Perspektiven der Jugend und der Länder des Südens zu wichtigen Themenbereichen in den Mittelpunkt gestellt.
In der Plenarsitzung zum Thema „Dekolonisierung von Macht und Privilegien in der Freiwilligenarbeit junger Menschen" befassten sich die Podiumsteilnehmer*innen eingangs mit den Auswirkungen des Neokolonialismus und mit der Frage, wie wir gemeinsam mit jüngeren Menschen auf die Beseitigung von Machtgefällen und Ungleichheiten hinarbeiten können. Dabei wurde insbesondere auch betont, dass wir uns unbequemen Wahrheiten stellen und die Systeme, welche die Ungleichheit aufrechterhalten, abbauen müssen, wenn wir jungen Menschen einen Raum bieten wollen, in dem sie ihre Stimme erheben und sinnvolle Freiwilligenarbeit leisten können.
Auf die Frage nach einer angemessenen Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen Süd und Nord wurde die Notwendigkeit betont, den Widerstand gegen die Institutionalisierung von Vielfalt abzubauen, um so die Grundsätze der Gleichheit und Gerechtigkeit strukturell in der jeweiligen Gesellschaft zu verankern. Es sei daher unerlässlich, so ein Podiumssprecher, dass die Politik die Überschneidung und Gleichzeitigkeit von mehrfachen Diskriminierungen bestimmter Personengruppen anerkenne und dies - zusammen mit einem vorurteilslosen Umgang mit Vielfalt und Diversität - innerhalb des globalen Kapitalismus als Hauptströmung verortet werde. Denn bisher würde hier „Differenz“ als Alibi genutzt, damit sich das bestehende System nicht verändern müsse. Demnach müsse sich jede Organisation eigenverantwortlich auf den Prüfstand stellen und die Strukturen und Prozesse ihrer Zusammenarbeit mit ihren Partnern weltweit auf koloniale Ausbeutungsmuster hin überprüfen und entsprechend neu ausrichten.
In einem weiteren Workshop am Nachmittag setzten sich die Delegierten wiederum mit der Frage auseinander, wie sich Jugendfreiwilligendienste als Weg zu einer Erwerbstätigkeit und zum Unternehmertum verstehen können, um so weiterhin relevant und attraktiv bleiben zu können für die sich teilweise verändernden Motivationen und Beweggründe junger Menschen einen Freiwilligendienst zu machen. Dabei wurde zunächst debattiert, ob es überhaupt das vordergründige Ziel von Freiwilligendienstprogrammen sein sollte, als Wegbereiter in das Berufsleben zu fungieren oder ob das nicht zu einer Instrumentalisierung des Freiwilligendienstes führen würde. Die Gesprächsteilnehmer*innen einigten sich darauf, dass der berufliche Werdegang der Freiwilligen nicht das primäre Ziel sein dürfe. Vielmehr sollten Aspekte wie kulturelles Verständnis, gelebte Solidarität und persönliche Entwicklung im Mittelpunkt des Freiwilligendienstes stehen. Letzteres nehme jedoch vor allem in Industrieländern wie Deutschland eine immer stärker werdende Rolle ein. Hier sei ein Freiwilligendienst für viele junge Menschen schlichtweg nicht mehr „konkurrenzfähig zu attraktiveren Einstiegsmöglichkeiten in das Berufsleben“, wobei sich die Motive für und gegen einen Freiwilligendienst innerhalb Deutschlands und weltweit stark voneinander unterscheiden.
Zu der tendenziell sinkenden Attraktivität formeller Freiwilligendienstprogramme würden maßgeblich auch die Politik und die öffentliche Meinung in einigen Ländern beitragen, da hier immer noch ein Mangel an Wertschätzung und damit zum Teil verbundenen finanziellen „Zurückhaltung“ vorherrsche. Um die teils vorherrschenden persönlichen Bewegründe vieler Freiwillige um eine Komponente, die zu einer altruistischeren, kollektiveren und somit dem eigentlichen Ziel der Freiwilligenarbeit fördernden intrinsischen Motivation gehört, zu erweitern, appellierten einige Teilnehmende den Freiwilligendienst wieder verstärkt als einen Raum und Lernort mit einer bestimmten Mission anzusehen, dessen Grundwerte sich im gelebten Gemeinwohl und im solidarischen Handeln mit und für Andere ausdrücken. So würde sich der Freiwilligendienst merklich von „attraktiveren“ Berufseinstiegsmöglichkeiten abheben und dem eigentlichen Bildungsauftrag von Freiwilligendiensten gerechter werden.
Tag 3 – Strategieentwicklung
Der letzte Konferenztag warf einen Blick in die Zukunft, indem Räume geschaffen wurden, in denen innovative strategische Wege zur Unterstützung und Befähigung der neuen Generation von Freiwilligen beschritten werden können.
Die Plenarsitzung befasste sich damit, wie wichtig es sei, die Handlungsfähigkeit und die Ambitionen junger Menschen in den Mittelpunkt der freiwilligen Entwicklungsarbeit zu stellen. Indem man junge Menschen dazu befähige, so der gemeinsame Tenor, sich für eine bessere Zukunft einzusetzen, kann man eine Kultur pflegen, die junge Menschen ermutigt, in die Zukunft zu blicken. Dabei wurde u.a. erörtert, welche Strategien angewandt werden können, um junge Menschen mit den notwendigen Kompetenzen und dem notwendigen Wissen auszustatten, damit sie sich aktiv an der Gestaltung der Zukunft beteiligen und in die Entscheidungsprozesse auf verschiedenen Ebenen, einschließlich der politischen Willensbildung, der Gemeindeentwicklung und der organisatorischen Planung, einbringen können.
In einem im Anschluss stattgefundenen Workshop zum Thema „Building sustainable funding models for youth volunteering in development“ wurden nachhaltige Finanzierungsmodelle vorgestellt, die die Kontinuität und Wirksamkeit der Freiwilligenarbeit junger Menschen gewährleisten können. Dabei wurde die Frage aufgeworfen, wie wir die Finanzierungsquellen diversifizieren können, indem wir verschiedene Stakeholder, darunter Regierungen, philanthropische Organisationen und Partner aus dem Privatsektor, zur Unterstützung von Freiwilligenprogrammen für junge Menschen verstärkt mit einbeziehen. Auch wurden Impulse zu Strategien, bewährten Verfahren und Erfolgsgeschichten diskutiert, die sich beim Aufbau nachhaltiger Finanzierungsmodelle bewährt haben und wie diese Ansätze möglicherweise adaptiert und skaliert werden können, um den sich entwickelnden Bedürfnissen des Sektors gerecht zu werden.
Für die meisten gemeinnützigen Organisationen besteht dabei eine zentrale Herausforderung darin, ein Gleichgewicht zwischen der Aufrechterhaltung der finanziellen Tragfähigkeit und der gleichzeitigen Umsetzung des Vereinszwecks sowie der Aufrechterhaltung einer hochwertigen und konsistenten Programmgestaltung zu finden. Dies liege vor allem daran, dass umfangreiche Forschungen und Erfahrungen gezeigt haben, dass Programmergebnisse und finanzielle Eigenschaften untrennbar miteinander verbunden sind. Aus diesem Grund ist ein Verständnis der Motivation von Freiwilligen, die Außendarstellung, die effektive Vermittlung von Freiwilligen und die administrative Unterstützung von entscheidender Bedeutung. Diese Praktiken hätten bei einigen der Teilnehmenden, maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die Freiwilligen in ihrer Arbeit wohl fühlen, was die Projektergebnisse insgesamt verbessert, die Entwicklung und Zusammenarbeit mit den Partnern fördert und dazu beiträgt, eine Art Pipeline für nachfolgende Freiwillige zu schaffen, was alles zur Sicherung der Einnahmequelle beitrage.
Eine Praxis, die sich bei allen Programmen deutlich herauskristallisiert hat, ist die Wirksamkeit des effektiven Storytellings und der Kommunikation bzw. Außendarstellung. Alle Programme erwähnten übereinstimmend, wie wichtig es ist, über soziale Medien, Websites, öffentliche Veranstaltungen und andere Kommunikationskanäle kurze, aussagekräftige Geschichten zu erstellen und zu verbreiten, die die Wirkung dieser Programme zeigen. Diese Kurzberichte waren zusammen mit den Daten aus der Programmdurchführung die überzeugendsten Ressourcen für die Erschließung von Finanzierungsmöglichkeiten in allen Bereichen.
Die Konferenz endete mit dem "Kuala Lumpur Call-to-Action", einem kollektiven Aufruf zum Handeln, welchen die Delegierten in ihre Organisationen mitnehmen können werden, sobald er ausgearbeitet ist. Diese von Jugendlichen geleitete Sitzung war gewissermaßen der Höhepunkt der während der gesamten Konferenz durchgeführten Konsultationen, aus denen ein ehrgeiziger Aufruf hervorgehen soll, der Wege aufzeigt, wie ein Umfeld geschaffen werden kann, das die Freiwilligentätigkeit junger Menschen ermöglicht, fördert und stärkt.