LHÜ-Feature // Positionspapier Rechtsanspruch: Vision für eine Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit

Auf der heutigen Bundespressekonferenz zum Thema "Rechtsanspruch auf ein Gesellschaftsjahr: Umsetzungsvorschlag der Zivilgesellschaft zur Debatte um verpflichtende Dienste für junge Menschen" wurde die Vision der verbandlich organisierten Zivilgesellschaft und Zentralstellen der Freiwilligendienste im In- und Ausland für eine Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit vorgestellt.


Download (5 MB): Positionspapier Rechtsanspruch: Vision für eine Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit


Freiwilligendienste sind ein Motor für die Demokratie!

Unsere Vision: Ein attraktives Angebot ermöglicht allen Menschen, die sich freiwillig engagieren möchten, den Zugang zu den Freiwilligendiensten. Der gesellschaftliche und demokratische Zusammenhalt wird durch Freiwilligendienste gestärkt – ganz ohne Pflicht zu einem Dienst. Mit einem neukonzipierten Angebot für ALLE kann das Potential der Freiwilligendienste entfaltet werden und eine Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit entstehen.
Denn Freiwilligendienste sind ein Gewinn hoch 3:
für die Freiwilligen, die Menschen in den Einsatzstellen und die Gesellschaft.


Gegenwärtig engagieren sich jährlich bereits mehr als 10% aller Schulabgänger*innen in einem Freiwilligendienst.
Eine kurzfristige Verdoppelung der Freiwilligenzahl für eine Kultur stetig anwachsender selbstverständlicher Freiwilligkeit ist durch den folgenden Dreiklang erreichbar:

  • ein Rechtsanspruch auf Förderung jeder Freiwilligen-Vereinbarung,
  • ein staatlich finanziertes Freiwilligengeld auf BAföGNiveau für alle Freiwilligen und
  • eine auffordernde Einladung und Beratung aller Schulabgänger*innen zu den Möglichkeiten, sich in einem freiwilligen Dienst zu engagieren.

Die Träger, Verbände und Zentralstellen der Freiwilligendienste im In- und Ausland, die diese in zivilgesellschaftlicher Verantwortung durchführen, setzen sich dafür ein, dass diese Zukunftsvision Wirklichkeit wird. Damit das gelingt, müssen folgende, sich gegenseitig verstärkende Forderungen umgesetzt werden:

1. Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst

Wo (junge) Menschen, Einsatzstellen und Träger sich auf den Abschluss einer Freiwilligendienst-Vereinbarung einigen, ist diese im Rahmen eines Rechtsanspruchs auf einen Freiwilligendienst durch den Bund zu fördern.

Freiwilligkeit erhalten
Ein Jahr für die Gesellschaft: Jährlich setzen sich bereits heute rund 100.000 Menschen in den Freiwilligendiensten für den sozialen Zusammenhalt ein und übernehmen Verantwortung. Die selbstbestimmte Entscheidung, sich freiwillig zu engagieren, ist dabei die Voraussetzung für das Erleben positiver Selbstwirksamkeit. So ergeben sich nachhaltige Anreize für freiwilliges gesellschaftliches Engagement über die Zeit des Freiwilligendienstes hinaus.
Ein Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst kann ohne Grundgesetzänderung umgesetzt werden.

Recht auf Teilhabe! Zielgruppen erweitern!
Jedem interessierten (jungen) Menschen wird ein passendes Angebot unterbreitet. Damit das gelingen kann, hilft Trägern und Einsatzstellen ein Nachteilsausgleich, um ein Mehr an Inklusion z.B. von Menschen mit Behinderung zu ermöglichen. Die konsequente Anwendung des Bundesteilhabegesetzes in den Freiwilligendiensten ist dafür notwendig. Hierunter fällt die Refinanzierung der erforderlichen zielgruppengerechten Ansprache, Öffentlichkeitsarbeit, Beratung und pädagogischen Begleitung. So werden
Einsatzstellen und Träger in die Lage versetzt, jenen (jungen) Menschen einen Platz anzubieten, die heute noch unterrepräsentiert sind.

Mit gesicherter Förderung Angebot und Nachfrage steigern
Die pädagogische Begleitung ist Garant für die sehr große Beliebtheit und Qualität der Freiwilligendienste. Politik muss dafür bedarfsgerechte finanzielle Rahmenbedingungen schaffen. Damit können die Einsatzstellen, Träger und Zentralstellen, die zusammen in zivilgesellschaftlicher Verantwortung Einsatzplätze anbieten und Freiwillige begleiten, einen sozial gerechten und attraktiv ausgestalteten Freiwilligendienst ermöglichen.

Die Förderung muss insgesamt auskömmlich sein zur Finanzierung des Freiwilligengeldes, der Information und Beratung der (jungen) Menschen, einer qualitativen pädagogischen Begleitung, anfallender (Sozial-)Versicherungsbeiträge sowie weiterer notwendiger Ausgaben.

Auslandsdienste sollen in gleicher Höhe gefördert werden wie die Inlandsdienste, wobei sie einer anderen Finanzierungslogik unterliegen.

Dafür sind zusätzliche finanzielle Mittel des Bundes bei einer Verdoppelung der Freiwilligenzahlen in Höhe von rd. 2,7 Mrd. € notwendig. Damit ist der Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst für 200.000 Freiwilligendienstleistende wesentlich günstiger als ein Pflichtdienst mit ca. 13,3 Mrd. € (vgl. Noack 2018:168 in Huth 2022:53f.).

2. Staatlich finanziertes Freiwilligengeld auf BAföG-Niveau für alle Freiwilligen

Freiwilligendienste müssen für alle offen sein, indem Freiwillige unabhängig von ihrer Wohnsituation ihren Lebensunterhalt eigenständig und elternunabhängig bestreiten können. Notwendig ist deshalb ein vom Bund finanziertes Freiwilligengeld, dessen Betrag sich am BAföG-Höchstsatz orientiert.

3. Einladung und Beratung für ALLE

Mit einer auffordernden, schriftlichen und individuellen Einladung an alle (jungen) Menschen sowie einer darauf aufbauenden Einzelberatung zu den Möglichkeiten eines freiwilligen Dienstes durch die anbietenden Organisationen, werden die Freiwilligendienste in einer ganz neuen Weise in das Bewusstsein gebracht. Die (jungen) Menschen werden angeregt, eine informierte Entscheidung über ein attraktives, mit einem Rechtsanspruch hinterlegtes Angebot zu treffen. Viel mehr (junge) Menschen werden die Frage: „Will ich einen Freiwilligendienst machen?“ mit „Ja“ beantworten.

Von einem Recht auf Freiwilligendienst profitieren ALLE

Mehr (junge) Menschen bekommen vielfältige praktische Einblicke und Lernmöglichkeiten, können sich beruflich orientieren und erfahren dafür Anerkennung und Wertschätzung.

  • Die Einsatzstellen gewinnen durch weitere Freiwillige zusätzliche Hilfskräfte, die Fachkräfte in der Arbeit mit Kindern und Lebensälteren, im Umweltschutz oder im kulturellen Bereich unterstützen. Sie gewinnen zudem häufig geeignete Nachwuchskräfte oder längerfristig Engagierte.
  • Das demokratische Gemeinwesen lebt von Partizipation, Mitgestaltung, Solidarität und Gemeinsinn – den Grundpfeilern der Freiwilligendienste. Nach ihrem Freiwilligendienst, ob im In- oder Ausland, bringen sich Freiwillige verstärkt in unsere Gesellschaft ein. Sie sind eine tragende Säule der Engagement- und Vereinsarbeit und stärken den Erhalt zivilgesellschaftlicher Angebote in Breite und Diversität.
  • Die Wirtschaft profitiert, weil junge Menschen nach einem Freiwilligendienst mit mehr Kompetenzen und Selbstorganisation in ihre Ausbildungswege starten – und Ausbildungen erwiesenermaßen seltener abbrechen.
  • Als gleichberechtigte Säulen können sich neben den Freiwilligendiensten, die Bundeswehr und weitere mögliche Akteur*innen im Rahmen der Beratung aller jungen Menschen angemessen darstellen und für ihr eigenes Angebot werben.

Dieses Positionspapier ist in dienstformat- und verbändeübergreifender Zusammenarbeit (FSJ, BFD, FÖJ, IJFD, weltwärts) sowie der Bundeskoordination der Landesarbeitskreise und -arbeitsgemeinschaften entstanden.

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