Die Idee kompakt auch als Onepager zum Download verfügbar hier.
Die gesamte AKLHÜ Stellungnahme zum Download verfügbar hier.
Immer wiederkehrend und mit zunehmender Intensität und Bedeutung wird die Forderung nach einem Pflichtdienst in der politischen Öffentlichkeit in Deutschland diskutiert. Die Debatte um einen Pflichtdienst wird inzwischen in der Mitte der Gesellschaft geführt und die Idee eines Pflichtdienstes wie auch der Freiwilligendienste erfährt innerhalb der Bevölkerung eine mehrheitliche und breite Zustimmung, praktisch aus allen Teilen der Gesellschaft. Die Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft gegenwärtig steht, bieten eine Fülle von Anknüpfungspunkten für diese Debatte. Dazu gehören: Zusammenhalt der Gesellschaft und innere Aushöhlung der Demokratie, Bildung, Pflegenotstand, Nachwuchsgewinnung etc.
Gleichzeitig berücksichtigt die Debatte um einen Pflichtdienst den Wert und die Bedeutung von Freiwilligkeit und vor allem die Konsequenzen, die eine Pflicht zum Engagement mit sich bringt bisher wenig.
Das Thema Pflichtdienst und Gesellschaftsdienst wird absehbar in der kommenden Bundestagswahl eine Rolle spielen.
Freiwilligendienste sind die Alternative zu einem Pflichtdienst.
Jedoch: Reicht ein eher passiver Verweis auf Freiwilligendienste und die Notwendigkeit diese mit mehr Förder-Geld auszubauen als überzeugende Position in der Debatte wirklich aus?
Oder: Ist nicht vielmehr eine echter Schub im Ausbau der Freiwilligendienst hin zu einem Gesellschaftsjahr notwendig, mit deutlich mehr Freiwilligen als heute und notwendigerweise mehr Einsatzplätzen? Um dem gesellschaftlichen Bedarf zu entsprechen und zur pro-aktiven Verortung von Freiwilligendiensten als die überzeugende Alternative in der Pflichtdienstdebatte.
Um in dieser Debatte politische überzeugend bestehen zu können, braucht es eine politische Antwort, die überzeugender ist als „lediglich“ auf Freiwilligendienste zu verweisen und dafür (kleinteilig) mehr Geld oder besseres Bedingungen zu fordern.
Die Forderung nach einem Rechtsanspruch auf angemessene Förderung eines Gesellschaftsjahres im In- oder Ausland ist eine überzeugende politische Antwort auf diese Fragen.
Die Forderung nach einem Rechtsanspruch auf Förderung als solche ist nicht neu und bereits in die Debatte eingeführt, spätestens seit 20181. Gleichzeitig hat die Debatte sich seither weiterentwickelt und inzwischen ein anderes qualitatives Niveau erreicht.
Es zeichnet sich deutlich ab: Die Zeit ist reif für ein breit angelegtes Gesellschaftsjahr!
Einsatzplatz-Pottentiale nutzen – bewährte Formate weiterentwickeln:
Politische Risiken vermeiden
Die Forderung nach einem Rechtsanspruch auf angemessene Förderung eines Freiwilligendienstes im In- oder Ausland baut auf den etablierten und bewährten Programmen der Freiwilligendienste auf. Die Freiwilligendienste müssen nicht neu erfunden werden. Die spezifischen Formate FSJ, FÖJ, BFD, IJFD und weltwärts bleiben bestehen und werden mit einem rechtlichen Anspruch auf Förderung versehen.
Alle Kernelemente qualitativ hochwertiger Freiwilligendienste als Lerndienst und Bildungsjahr bleiben wie bewährt erhalten. Insbesondere das Trägerprinzip, die darin verankerte pädagogische Begleitung, in Seminaren und darüber hinaus, sowie die unterstützenden Strukturen von Zentralstellen, Zentralen Stellen und Qualitätverbünden.
Kurz: Der Rechtsanspruch auf angemessene Förderung eines Freiwilligendienstes lässt sich nahtlos in die bestehenden und bewährten Formate einfügen.
Alle bewährten Freiwilligendienst-Programme können als Anspruchsgrundlage definiert werden. Wer als Träger einen Einsatzplatz besetzt hat, kann die Förderung abrufen. Analog zum Elterngeld oder zum früheren Dienst nach § 14 c Zivildienstgesetz. Für Freiwillige, Einsatzstellen und Träger entsteht dadurch eine Rechts- und Planungssicherheit. Auf Grundlage einer angemessenen und ausreichenden Höhe und Form der rechtlich abgesicherten Förderung können neue Einsatzplätze in
erheblichem Umfang geschaffen werden.
Indem der Bund oder die Länder mit einem Rechtsanspruch auf Förderung keine explizite Verpflichtung übernehmen, für alle jungen Menschen unter allen Umständen einen
Freiwilligendienst-Platz sicher zu stellen, ist diese Forderung politisch mit geringen Risiken umsetzbar. Anders als bspw. beim Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz.
Im Gegensatz dazu stünde ein individueller Rechtsanspruch auf einen Platz, oder gar ein Pflichtdienst, bei dem der Bund unmittelbar in der Verantwortung stehen würde rund 800.000 Einsatzplätze zu gewährleisten.
Die Gefahr einer staatlichen „Planwirtschaft“ wird vermieden. Vielmehr reicht es aus, wenn der Bund ausreichend gute Förder-Bedingungen schafft, damit durch die Zivilgesellschaft Einsatzplatz-Potentiale genutzt werden können.
Obwohl mit dieser Forderung kein Rechtsanspruch für jeden jungen Menschen auf einen Freiwilligendienst-Platz verbunden ist, kann ein gewisser politischer Druck gegenüber dem Bund entstehen, für Bedingungen zu sorgen, in denen Einsatzplätze in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Dieser Erwartung kann damit begegnet werden, dass angemessene und ausreichende Förderbedingungen gewährleistet werden, damit neue Plätze entstehen. Das Interesse der zivilgesellschaftlichen Akteure an den Freiwilligen im Gesellschaftsjahr wird dann von sich aus so groß sein, dass die notwendigen Einsatzplätze auch tatsächlich geschaffen werden.
Einladung, Information, Förderung – ein attraktives und vielfältiges Angebot:
Nachfragedynamik bei jungen Menschen entfalten
Ein Rechtsanspruch auf Förderung eines Gesellschaftsjahres bietet das Potential, dass eine gesellschaftliche Dynamik hin zu Freiwilligendiensten entsteht: auf der Nachfrageseite, bei den jungen Menschen.
Junge Menschen erhalten einen gefühlten Anspruch, der ihnen real wie ein Gutschein zusteht, wenn sie einen geeigneten Platz bei einem Träger finden. Das Wissen um diesen Förder-Anspruch kann bei vielen Jugendlichen ein Nachdenken auslösen: Will ich ein Gesellschaftsjahr machen? Dadurch werden mehr Jugendliche als heute aktiv darüber nachdenken. In der Folge werden sich deutlich mehr junge Menschen als heute dafür entscheiden.
Ein positives Beispiel, wie sich solch eine Nachfragedynamik entwickeln kann, ist das Elterngeld.
Indem bestehende Zugangs-Hürden abgebaut werden, wird allen jungen Menschen eine Entscheidung für ein Gesellschaftsjahr ermöglicht. Ein attraktives Angebot begünstigt zudem die Entscheidung für das Gesellschaftsjahr.
Alle Jugendlichen werden zum Abschluss ihrer Schulzeit informiert und eingeladen. Jeder junge Mensch erhält zum Ende der Schulzeit eine schriftliche Einladung der Gesellschaft: als Brief des Bundespräsidenten, zusammen mit jugendgerecht aufbereiteten und kuratierten Informationen über die verschiedenen Möglichkeiten einen Gemeinschaftsdienst zu leisten. Daneben kann es weitere Maßnahmen wie Info-Tage und Sozialpraktika geben, um das Gesellschaftsjahr bei den jungen Menschen bekannt und attraktiv zu machen.2
Alle jungen Menschen müssen sich ein Gesellschaftsjahr leisten können. Damit das gelingt, müssen der Lebensunterhalt sowie weitere Kosten des Gesellschaftsdienstes abgesichert werden. Die Förderung durch den Rechtsanspruch muss daher ausreichend und angemessen sein, um insbesondere Wohnung, Verpflegung, Taschengeld/Gratifikation, freie Fahrten, Versicherungen, pädagogische Begleitung und im Auslandsdienst: Reisekosten, Visum, Sprachkurs zu finanzieren.
Dabei ist keine Vollfinanzierung notwendig, jedoch muss die Förderung so ausgestattet sein, dass Zugangshürden für junge Menschen vermieden werden und Einsatzplatz-Potentiale auch dort genutzt werden, wo nur eine geringe oder keine Eigenbeteiligung möglich ist.3
Indem das Gesellschaftsjahr als qualitativ hochwertiger Lerndienst und als Bildungsjahr konzipiert ist und der Freiwilligendienst pädagogisch begleitet und angeleitet wird, trägt es maßgeblich zur Sozialisation der jungen Menschen bei. Als von den jungen Menschen positiv erlebte Zeit, wird das Gesellschaftsjahr in der eigenen Peer-Group weiterempfohlen. Diese Mund-zu-Mund-Empfehlungen tragen zu der Nachfragedynamik bei.
Eine Vielfalt an Angeboten und Möglichkeiten – als Information gut und übersichtlich aufbereitet – bildet einen attraktiven Möglichkeitsraum für ein Engagement im Gesellschaftsjahr. Indem das Gesellschaftsjahr in allen dem Gemeinwohl dienenden gesellschaftlichen Bereichen möglich ist, finden alle das für sie passende Engagement-Angebot. Ob im sozialen oder pädagogischen Bereich, im Klima- und Naturschutz, in der Kultur oder im Sport, im Friedensdienst im Ausland und im entwicklungspolitischen Freiwilligendienst, ob in Deutschland, in Europa und weltweit. Aber auch in flexiblen Formen von bewährten und weiterentwickelten Gemeinschaftsdiensten, ob im Katastrophenschutz oder als Orientierungszeit: Das Gesellschaftsjahr bildet die ganze Vielfalt der Engagementfelder in unserer Gesellschaft ab.
Und: Der Gesellschaftsdienst kann dabei generationenoffen und generationsübergreifend gestaltet werden.
AKLHÜ Stellungnahme zum Download verfügbar hier.
Kontakt
Claudio Jax
Stellv. Vorsitzender
AKLHÜ e.V. – Netzwerk und Fachstelle für internationale Personelle Zusammenarbeit
Mobil: 0176 - 637 88 403
E-Mail: c.jax@freunde-waldorf.de
Dr. Gisela Kurth
Geschäftsführerin
AKLHÜ e.V. – Netzwerk und Fachstelle für internationale Personelle Zusammenarbeit
Tel.: 0228 - 908 99 12
E-Mail: kurth@entwicklungsdienst.de
www.entwicklungsdienst.de
1 Vgl. beispielsweise zur Position des AKLHÜ:
https://www.entwicklungsdienst.de/fileadmin/AKLHUE_Relaunch/2018-08-14_AKLHUE_Stellungnahme_Pflichtdienst.pdf
2 Vgl. zur Machbarkeit und Empfehlungen für die Umsetzung eines Gesellschaftsdienstes auch: Haß, Rabea/Nocko, Grzegorz (2023): Ein Gesellschaftsdienst für alle – Zur Machbarkeit in Deutschland und Europa.
3 Bei der Ausgestaltung der Förderung kann auf bewährte Formen in den Jugendfreiwilligendiensten zurückgegriffen werden, die ausgebaut werden können. Außerdem kann auch neu gedacht werden. Vgl. hierzu und zum notwendigen Förderumfang u.a. ebd. S. 30f.