„The new not normal für Entsendeorganisationen (EOs) und Partnerorganisationen (POs)“ - Ein Kommentar von Ana Klähn, Experiment e.V.

Alle, die mehr als ein Jahrzehnt im Dienst des interkulturellen Austauschs sind, sowohl mit dem Freiwilligendienst weltweit als auch mit anderen Formaten innerhalb des internationalen Lernangebotes, kennen das Gefühl der Hilflosigkeit bei Hiobs-Botschaften wie die des 11. Septembers, SARS oder des Ebola-Ausbruchs. Unsere Art zu reisen wurde im Jahr 2001, nach dem Terrorangriff in den USA, grundlegend anders. Internationale Reisen wurden allerdings nur kurzweilig unterbrochen. Das Misstrauen blieb jedoch und veränderte nachhaltig die Sicherheitsmaßnahmen rund ums Fliegen bzw. die internationale Mobilität, sowie die Visumsvergabe. Mit jedem weiteren Ereignis wuchs die Hürde, Menschen mit verschiedenen Kulturen in Verbindung zu bringen. Es ist schon beachtenswert, was wir EOs und POs in den letzten Jahren alles geschafft haben. Auch im Inland stiegen die Anforderungen an EOs schnell an, die Qualität unter Beweis zu stellen, immer ausführlichere Dokumentationen, Konzepte zur Begleitung und Pläne zum Krisenmanagement vorzulegen. Der Pandemie-Effekt ist aber größer als alles, was wir bisher kannten, weil er von unabsehbarer Dauer ist. Es kann für uns nur ein positives „new normal“ geben, wenn man unter dem neuen „new“ weiter „normal“ entsenden darf.

Einige EOs arbeiten im Ausland mit einheimischen und von Einsatzstellen unabhängige POs, die professionell aufgestellt sind und die eine erhöhte Handlungssouveränität genießen. Diese Zusammenarbeit erfordert eine möglichst große Einbeziehung der POs in der Qualitätssicherung und berücksichtigt ihre Expertise beim Krisenmanagement. Die Vorzüge dieser Art der Zusammenarbeit kamen im Zuge der Rückholaktion zu trage, die dazu beitrug, dass die Logistik und Betreuung der Freiwilligen effizienter und reibungsloser gestaltet werden konnte. Größtenteils wurde schnell agiert, sodass häufig auf die „Maas Airlines“ verzichtet werden konnte und die POs in der Lage waren die Freiwilligen mit den letzten regulären Flügen nach Hause unter zu bringen. Einheimische / Gastfamilien / Betreuende, unabhängige POs in den Ländern des Globalen Südens aufrechterhalten, die eigene Logistik, Seminare, Sprachtrainings und die Bereitstellung einer rund um die Uhr Betreuung mit lokalen Koordinator*innen- und Mentor*innen-Netzwerken - all das ist kostspielig. Das sind Fördermittel, die man bereitwillig und gerne in der angemessenen Höhe ins Ausland weitergibt. Faire Arbeitsbedingungen bei der Betreuung der Freiwilligen sollten auch für uns hier in Deutschland eine Selbstverständlichkeit sein.

Während bei anderen, regional begrenzten Problemen in früheren Jahren die EOs meist Ausweichmöglichkeiten auf andere Länder hatten, und somit die betroffenen POs trotzdem unterstützen konnten, ist dieses Mal alles für sehr lange Zeit stillgelegt. Zu lange. Bei uns macht sich die sehr berechtigte Sorge breit, wie wir unseren POs im Ausland helfen und für Kontinuität sorgen können, wenn wir nicht wissen, wie wir uns selbst finanzieren sollen. Für große Konzerne und kleinere Wirtschaftszweige konnten staatliche Hilfen schnell zugesichert werden, aber wir gemeinnützigen Vereine wurden bei bundesweiten Rettungspaketen erstmal außen vor gelassen. Wir, die täglich arbeiten, um einen immensen, kollektiven Abbruch der Programme zu managen, und jeden erdenklichen Anspruch der Dokumentation darüber zu erfüllen - wer rettet uns? Wer rettet damit unsere Auslandspartnerschaften? Seminarhäuser, ein Notruf-Telefon, Büros, Betreuer*innen, Mentor*innen, Projektunterstützung und Unterbringungsmöglichkeiten, die im Ausland mühselig aufgebaut wurden, dürfen nicht verschwinden. Auch die Tatsache, dass die Instandhaltung Geld kostet, darf nicht einfach außer Acht gelassen werden. Wir haben den Anspruch, hoch qualitative Betreuung, garantierte Nachhaltigkeit und Arbeitsplatz-Neutralität für unsere Einsätze zu garantieren. Aber wie, wenn nicht mit einer soliden übergreifenden Finanzierung für die Vereine an sich, die grundsätzlich Entsendungen in verschiedenen Formaten durchführen? Wir fühlen uns verantwortlich, denn natürlich hat der Aufwuchs der Mittel hier in Deutschland zu einem Ausbau der Strukturen bei den POs geführt. Wir wollen stets als Fels in der Brandung für unsere POs agieren, aber das ist schwierig, da wir offen legen mussten, wie es finanziell um uns steht. „Wie soll es jetzt weiter gehen?“ – diese Frage bekomme ich wöchentlich von meinen liebevollen und besorgten Ansprechpartner*innen im Ausland gestellt. Der jeweils eigene Staat der POs hilft unserer Sparte kaum. Freiwillige berichten, dass Gastfamilien, die auf einen Zuschuss für die Beherbergung der Freiwilligen angewiesen sind und Lehrkräfte, die aktuell nicht mehr vom Staat bezahlt werden, Hilfeschreie schicken und um Geldspenden bitten. Herzzerreißende E-Mails von liebgewonnenen Kolleg*innen, Mentor*innen und Freund*innen, die stark vom Ausfall der direkten und indirekten Mittel betroffen sind, solange die Lerndienste ausgesetzt bleiben, erreichen unsere Freiwilligen.

Wir klammern uns an die Hoffnung, dass es in wenigen Monate wieder aufwärts geht. Unsere POs im Ausland sind unermüdlich dabei, unseren zukünftigen Freiwilligen Zoom-Workshops, Seminar-Module, Kulturtrainings und vieles mehr zukommen zu lassen. Wir denken uns jeden Tag etwas Neues aus, um trotz social distancing die bestmögliche Vorbereitung zu gewährleisten. Wir lassen Projektbetreuer*innen im Ausland live über die Schönheit und Herausforderungen ihrer Projekte erzählen. Der Nebeneffekt der frühen Einbindung der POs im direkten Dialog mit ihren Freiwilligen ist in all dem Chaos etwas Positives, das wir gerne beibehalten wollen. Auch sehr positiv war, dass wir die verschiedenen Auslandskooperationen besser und direkter untereinander vernetzt haben. So können beispielsweise unsere Partner*innen in Benin hören, welche sinnvollen Arbeiten und Verbesserungen unsere Südafrika-POs im Freiwilligenhaus durchführen. Oder unsere Partner*innen aus Indien berichten, wie sie sich kommunal betätigen, um Migrantenarbeiter*innen vor Ort zu unterstützen und ihre Expertise optimal zum Wohle der Gemeinde einsetzen. Zu sehen, wie unsere verschiedenen POs lebhaft miteinander Tipps und Ideen zu Finanzierungschancen austauschen und uns alle an ihrem unermüdlichen und altruistischen Tatendrang teilhaben lassen – genau das erfüllt uns mit Stolz. Wir sind sehr glücklich, solch großartige, transparente und demokratische Gespräche ermöglicht und initiiert zu haben. Es erfordert Mut, über Geld im gemeinnützigen Sektor zu sprechen. Gleichzeitig schafft es aber Vertrauen und Zuversicht bei den POs im Ausland, wenn sie wissen, wie viel wir bekommen und was wir davon an sie weitergeben können.

Wir geben alles, um unseren Teil der Arbeit mit Bravur zu erledigen, aber eine unkomplizierte finanzielle Hilfe für uns EOs, und damit für unsere Organisationen im Ausland, darf nicht ausbleiben! Trotz unserer Dankbarkeit für die verständnisvolle und großzügige Unterstützung für die weitere Durchführung von weltwärts-Programmen und auch neuerdings die Zusagen für den Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD) - Hier wünsche ich mir von der Politik eine übergreifende Finanzierungssicherung für gemeinnützige Vereine – eine, die programmunabhängig möglich sein sollte und nicht an Durchführungsrichtlinien der vielen verschiedenen Formate von Auslandsdiensten scheitern sollte.

Ana Klähn (Teamleitung Working Experiences, Experiment e.V.)

Zurück