Vom Lernen in Zeiten der Pandemie…

Der Corona Virus hat unsere Welt ordentlich durcheinandergewirbelt. Das gilt auch für das Leben vieler Fachkräfte im Entwicklungsdienst. Sie berichten von den Schwierigkeiten ihre Arbeit fortzusetzen, von neuen Gesundheitsrisiken und Versorgungsengpässen. Diese Berichte sind wichtig. In ihrem Spiegel wird deutlich, dass bei allen Einschränkungen die allermeisten von uns hier in Deutschland eine „Corona-Pandemie light“ erleben. Längst wird aber auch klar, dass weltweit nicht etwa die medizinischen Risiken die größte Gefahr darstellen, sondern die sozialen und wirtschaftlichen. Menschen sterben in Corona-Zeiten nicht nur am Virus, sondern verhungern.

Unter diesen Extrembedingungen ist die Unterstützung der Fachkräfte für die Partner und somit für deren Zielgruppen vor Ort in vielen Fällen überlebenswichtig, jedenfalls oft deutlich wichtiger als bisher. Umgekehrt sind seit Beginn der Pandemie einige Fachkräfte ausgereist. Sie haben ihre Dienstorte verlassen, wollten sich und ihre Familie irgendwie nach Europa bringen bevor alle Reisewege für längere Zeit gekappt würden. Hier leben sie jetzt seit Wochen in Provisorien, oft mit unklaren Rückreiseperspektiven und mit der Sorge um ihre Projekte, Partner*innen und Freund*innen, die vor Ort geblieben sind.

Ist es zu früh nach „lessons learnt“, also nach neuen Lernerfahrungen und nach den Chancen, die in der Pandemie stecken, zu fragen?

Dass die Zukunft ungewiss ist, gilt eigentlich immer, aber selten bekommen wir diese Weisheit so drastisch eingebläut wie jetzt in den Corona-Zeiten. Dass der Virus keine Grenzen kennt und wir ihn nur gemeinsam besiegen werden, dämmert uns so langsam.

Ganz praktisch wurde manch einer von jetzt auf gleich in „schöne neue Arbeitswelten“ katapultiert. Auch wenn sich seit dem Corona Lock-Down viele Türen - hoffentlich nur vorläufig – geschlossen haben, so haben sich doch auch ganz neue Welten aufgetan. Als digitaler Gast kommt man zu den Menschen bis ins Wohnzimmer oder kann mit Kolleg*innen Kontakt halten, die eine halbe Welt von mir entfernt leben und arbeiten. Ein Meeting mit Teilnehmer*innen, bei dem sich Menschen aus Nepal, Kenia und Kolumbien gleichzeitig zuschalten? Ein schnelles Treffen für Kurzabsprachen ohne Reiseaufwand? All das und vieles mehr ist seit Corona für viele von uns neuer Alltag.

Man erlebt, wie gut und intensiv man zur Sache arbeiten kann. Präsentationen, Textarbeit, Entwickeln von Ideen am Whiteboard – das geht gut. Austausch, Beratung, Coaching und Supervision, ja selbst Gottesdienste feiern wir jetzt digital.

Wie viele Kilometer wurden in diesen letzten Monaten so nicht geflogen, wie viele Stunden nicht im Zug abgesessen. Wie viel Zeit haben wir „gespart“?  Das gehört alles eindeutig auf die „Haben-Seite“ der ökologischen und persönlichen Krisenbilanz.

Es gibt viele AGIAMONDO Fachkräfte, die nun schon über Wochen weit weg von der Partnerorganisation sind, aber tapfer und mit großem Einsatz weiterhin ihr Projekt managen, nur halt jetzt im Home-Office zwischen Deutz und Haiti (was dank stabiler Internet-Verbindungen oft besser geht als vor Ort). Der Sohn einer vorübergehend ausgereisten Fachkraft stöhnt über die vielen Hausaufgaben und ich staune, dass er hier in Köln in die Schule geht. Nein, es ist die Lehrerin aus der Elfenbeinküste, die ihm weiterhin jeden Tag Arbeitsblätter schickt und sie nachmittags erledigt zurückhaben will.

Was aber heißt das alles in Zukunft für die Anliegen der Personellen Zusammenarbeit. Warum Leute überhaupt mit Kind und Kegel, um die Welt schicken? Könnten sie nicht sicherer, ökologischer sinnvoller und kostengünstiger ihre Dienste von hier aus anbieten? Die ersten kritischen Rückfragen dieser Art werden schon nicht mehr nur leise an uns Träger gestellt.

Ja! Aber…Dringend muss ich diesem ersten Teil der Lernerfahrungen den zweiten Teil meiner Erkenntnisse hinzufügen: Videokonferenzen sind deutlich besser als nichts und ermöglichen viel mehr als gedacht. Aber digitale Welten sind wahrlich kein Ersatz für Begegnungen von Mensch zu Mensch „in echt“.  Wir leben von den Erfahrungen und guten Kontakten, in die wir schon vor Corona viel investiert hatten. Wir profitieren davon, dass wir mit anderen das Leben, und das heißt auch ganz konkret den gleichen Raum geteilt haben. Wo ich die anderen im wahrsten Sinne des Wortes nicht riechen kann, nicht der gleichen Hitze und den gleichen gemeinen Mückenstichen ausgesetzt bin, bleibt Begegnung hinter dem Eigentlichen zurück. Denn gegenseitiges Vertrauen als Grundlage erfolgreicher Zusammenarbeit braucht immer auch Raum für reale (Lern-)Erfahrungen und die Einsicht „gemeinsam auf dem Weg zu sein“. Lessons learnt? Eine ganz wichtige lautet: Noch nie war Personelle Zusammenarbeit so wichtig wie heute. Wenn es sie nicht schon gäbe, müsste man sie spätestens jetzt erfinden.

„Prüfet alles und behaltet das Gute.“ Das gilt auch für die Erfahrungen der letzten Wochen. Ich bin dankbar für das, was mit Digitalen Medien alles möglich wurde. Doch die Grenzen sind spürbar.   

Wir brauchen bald wieder die persönliche Begegnung, den lebhaften Austausch miteinander, den festen Händedruck und die herzliche Umarmung, denn irgendwann ist die Erinnerung daran aufgebraucht. Wir brauchen die Menschen, die sich mit Haut und Haar, mit ihrer ganzen Existenz für andere in Dienst nehmen lassen. Wir brauchen in Zukunft unbedingt weiter Fachkräfte.

Denn eines haben wir hoffentlich jetzt alle besser verstanden. Wir sind eine globale Lern- und Solidargemeinschaft. Eine Zukunft in Frieden und Gerechtigkeit gibt es auf Dauer nur, wenn alle mit einbezogen werden und diese Zukunft wollen wir „in echt“.  

Dr. Claudia Lücking-Michel (Geschäftsführerin von AGIAMONDO e.V.)

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