Vor und nach dem Entwicklungsdienst: Eine quantitative Studie unter Rückkehrer*innen 2011-2020

Die Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste e.V. (AGdD) veröffentlicht Ergebnisse ihrer aktuellen Verbleibstudie. In diesem Beitrag fassen Gabi Waibel und Silke Wesemann die zentralen Erkenntnisse zum Engagement sowie zu den beruflischen Perspektiven von Rückkehrer*innen zusammen. Darin bestätigt sich auch der herausgehobenen Stellenwert der "Gemeinwohlorientierung" als einer der wichtigsten Beweggründe für einen Entwicklungsdienst.

Die aktuelle Verbleibstudie nimmt die berufliche (und persönliche) Entwicklung ehemaliger Fachkräfte mit Dienstvertrag nach dem Entwicklungshelfer-Gesetz (EhfG), so genannte „Rückkehrer*innen“ aus dem Entwicklungsdienst und Zivilen Friedensdienst der letzten Dekade, in den Fokus. Damit schließt die AGdD an frühere Erhebungen aus den Jahren 2006, 1995 und 1986 (um die letzten drei zu nennen) an, in denen die berufliche Reintegration ehemaliger Fachkräfte untersucht wurde. Die vorliegende Studie geht über diese Fragestellung jedoch hinaus: Sie enthält erstmals auch Fragen nach dem gesellschaftlichen Engagement vor und nach dem Dienst sowie nach der beruflichen und persönlichen Bilanz. Derzeit sind ca. 1.000 Fachkräfte im Einsatz, jedes Jahr beenden mehrere Hundert ihren Dienst.

Hintergrund und Fragestellung der Studie
Die Rückkehr nach einem i.d.R. mehrjährigen Entwicklungsdienst (aktuell liegt die durchschnittliche Dienstzeit bei 33 Monaten), ist ein Prozess, der entsandte Fachkräfte und ihre Familien vor vielfältige Herausforderungen stellen kann. In dieser Phase ist das Förderungswerk der AGdD die zentrale Anlaufstelle für Rückkehrer*innen, denn die vielfältigen Unterstützungsangebote sind ganz auf ihre spezifischen Bedarfe ausgerichtet.
Für das Förderungswerk ist es wesentlich, möglichst detaillierte Kenntnisse über die Zielgruppe und die Rahmenbedingungen der Rückkehr (Arbeits- und Weiterbildungsmarkt, Recruiting-Verfahren, Wertschätzung von Engagement u.a.m.) zu haben. Interne Monitoring-Verfahren und die jährliche Statistik über entsandte Entwicklungshelfer*innen liefern hierfür wichtige Daten. Auch die qualitative Studie „Entwicklungsdienst qualifiziert. Wie Fachkräfte lernen und ihre Kompetenzen entwickeln“ (AGdD 2017) hat wichtige neue Erkenntnisse und Empfehlungen hervorgebracht, die in der Beratung umgesetzt werden. Darüber hinaus standen für die aktuelle Studie folgende Fragen im Raum:

•    Welche Bedeutung hat der „Dienstcharakter“ (das solidarische Engagement) in der Entscheidung für einen Entwicklungsdienst heute?
•    Welche Erfahrungen haben Fachkräfte im Zuge ihrer Rückkehr gemacht?
•    Welche Bedeutung hat der Entwicklungsdienst für die berufliche Laufbahn der Fachkräfte und wie bewerten sie diese?
•    Inwieweit sind Fachkräfte vor und nach dem Entwicklungsdienst sozial / gesellschaftlich engagiert und wie verändert sich das Engagement durch den Dienst?

Die Verbleibstudie wurde von der AGdD beauftragt und von der IMAP GmbH in 2021 durchgeführt.

Forschungsansatz und Teilnehmer*innen der Studie
Die Studie wurde als zweisprachige (deutsch / englisch) Online-Befragung angelegt. Der umfangreiche Fragebogen wurde in der AGdD abgestimmt und durch Dienst-spezifische Erkenntnisinteressen ergänzt. Befragt wurden Fachkräfte aller Entsendedienste, die im Zeitraum 01.01.2011-31.12.2020 einen Vertrag nach EhfG beendet haben.

Insgesamt schlossen 594 Rückkehrer*innen die Umfrage vollständig ab, davon 45,9% Männer und 54,1% Frauen. Etwa die Hälfte (49,83%) der Befragten gab an, mehr als einen EhfG-Vertrag abgeschlossen zu haben, zum Teil verbunden mit einem Wechsel des Trägers.

Laut EhfG müssen Fachkräfte eine EU-Staatsbürgerschaft haben. An der Studie nahmen Personen aus 16 Nationen teil, 85% davon besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft.

Die befragten Fachkräfte waren überwiegend Akademiker*innen. Viele verfügten über relevante Vorerfahrungen (z.B. im Ausland oder im Rahmen ihrer Studienabschlüsse) oder brachten einschlägige Berufserfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit mit – obwohl dies in der Regel keine formale Voraussetzung ist.

Ergebnisse: räumliche Mobilität und Engagement
 Ein zentraler Aspekt, auf den die Studie einging, ist die Frage von wo aus Fachkräfte in den Entwicklungsdienst aufbrechen und wohin sie dann zurückkehren. Betrachtet man den Zeitraum von zwei Jahren nach der Rückkehr, gaben 67 % der Befragten an, dass sie weiterhin in dem Ausgangsland, von dem aus sie in den Entwicklungsdienst aufgebrochen sind, leben. 19% der Befragten hielten sich entweder in einem anderen Land der Europäischen Union (EU), inklusive der Schweiz, oder in einem anderen Land außerhalb der EU auf. Interessant ist, dass einige Fachkräfte keine „Rückkehrer*innen“ im Wortsinn sind, sondern im Einsatzland verbleiben; zum Zeitpunkt zwei Jahre nach Vertragsende waren dies 12,3 %.

Ferner stellte sich die Frage, wie Mehrfachentsendungen bzw. Mehrfachverträge und Rückkehr zusammenhängen. Rund 43% aller Mehrfachentsendeten gaben an, ihr Einsatzland nach jedem Einsatz verlassen zu haben, für rund 10 % war dies meistens der Fall. Rund 48 % haben das Einsatzland selten oder nie nach jedem Einsatz verlassen. Damit spielt die örtliche Rückkehr auch für einen bedeutenden Teil der Mehrfachentsendeten eine tragende Rolle.

Neben der örtlichen Rückkehr thematisierte die Umfrage verschiedene Aspekte, die Menschen dazu motivieren, einen Entwicklungsdienst / Zivilen Friedensdienst zu leisten. Die Antworten wurden im Zuge der Datenanalyse drei Kategorien zugeordnet: “Gemeinwohlorientierung”, “persönliche Herausforderung” und “Karriereorientierung”. Unter „Gemeinwohlorientierung“ wurden Aspekte wie „einen Beitrag zu Gerechtigkeit und Frieden leisten“, „in Solidarität mit Menschen im Globalen Süden zu handeln“, „eine sinnstiftende Tätigkeit auszuüben“ und „mit Menschen partnerschaftlich an Lösungen zusammenzuarbeiten“ als Beweggründe für einen Entwicklungsdienst zusammengefasst. Im Vergleich zeigte sich, dass die „Gemeinwohlorientierung“ einen herausgehobenen Stellenwert einnahm. Dies galt für Rückkehrer*innen aller Träger und bestätigt, dass das solidarische Engagement – ganz dem Sinn des EhfG– nach wie vor die zentrale Rolle bei der Entsendung spielte.

Bei der Frage, inwieweit sich Fachkräfte vor und nach dem Dienst sozial engagieren, ließ sich außerdem feststellen, dass die (zurückgekehrten) Fachkräfte eine, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, weit überdurchschnittlich engagierte Gruppe sind: Über 70% der zurückgekehrten Fachkräfte hat sich bereits vor ihrem Einsatz sozial engagiert, fast 90% auch nach dem Dienst. Die Befragten waren überwiegend der Meinung, dass der Entwicklungsdienst die Motivation für soziales Engagement noch befördert.

Ergebnisse: berufliche Perspektiven und Bilanz
In Bezug auf die berufliche Rückkehr wurde zunächst gefragt, inwieweit die zurückgekehrten Fachkräfte nach Arbeit gesucht haben. Von den 70% der Befragten, die dies bejahten, waren mehr als 80% innerhalb des ersten Jahres erfolgreich. Mit Blick auf den Bereich der Kompetenzbilanz zogen zurückgekehrte Fachkräfte wertvolle Schlüsse: Auf dem Arbeitsmarkt nachgefragte Kompetenzen waren nach Einschätzung der Befragten in besonderem Maße Flexibilität (79%), analytisches Denken (72%) und Fähigkeiten im Programmmanagement (68%). 65% der Befragten sahen auch eine substanzielle Nachfrage für interkulturelle Kompetenz. In all diesen Bereichen hat der Entwicklungsdienst zu einem Kompetenzzuwachs geführt.

Beim beruflichen Verbleib gilt es hervorzuheben, dass 46% der Befragten in der Entwicklungszusammenarbeit bzw. der Entwicklungspolitik verblieben, davon etwa die Hälfte mit einer Tätigkeit im Ausland.

Hinsichtlich der persönlichen Rückkehr zeigten die Daten, dass ein großer Teil der Fachkräfte bei der Rückkehr in multinationalen Partnerschaften und / oder Familienkonstellationen lebten (knapp 60%). Bei der Frage nach Herausforderungen bei der Rückkehr stellte sich heraus, dass einige die Arbeitssuche der Partnerin beziehungsweise des Partners im Rahmen der Rückkehr als einen zusätzlichen Belastungsfaktor erlebten. Die eigene Arbeitssuche wurde von den zurückgekehrten Fachkräften auch als sehr belastend erlebt. Wie sehr der Entwicklungsdienst nicht nur eine professionelle, sondern auch eine prägende persönliche Erfahrung darstellt, kommt darin zum Ausdruck, dass das Heimweh nach dem Einsatzort ebenso wie Fremdheitsgefühle nach der Rückkehr als wichtige Belastungsfaktoren genannt wurde.
 
Insgesamt zogen die Befragten sehr unterschiedlich begründete Bilanzen. Fast zwei Drittel würden erneut eine Fachkrafttätigkeit aufnehmen. 50% gaben an, dass sich ihre berufliche Situation zwei Jahre nach Rückkehr im Vergleich zu vor der Ausreise verbessert hat und würdigten dabei sowohl die hohe berufliche Anerkennung des Dienstes als auch den Erfahrungszuwachs während der Entsendung. Weitere 25% gaben an, dass sich ihre Situation weder verbessert noch verschlechtert hat. Demgegenüber steht eine Minderheit von eher negativ gefärbten persönlichen Bilanzen: So würden 15% der Befragten nicht noch einmal als Fachkraft ausreisen wollen und rund ein Viertel der Befragten bewertete ihre berufliche Situation zwei Jahre nach Rückkehr als schlechter als vor der Ausreise. Häufigster Grund für diese Einschätzung war die geringe berufliche Anerkennung des ED / ZFD.

Neben diesen Ergebnissen lieferte die Studie weitere interessante Einblicke und Aspekte zum beruflichen und persönlichen Verbleib der Rückkehrer*innen und bestätigte vor allem die Annahme, dass Fachkräfte überdurchschnittlich sozial engagiert sind und viele dieses Engagement auch nach der Rückkehr weiterführen.

Weiterlesen
Der ganze Bericht „Vor und nach dem Entwicklungsdienst: Eine quantitative Studie unter Rückkehrer*innen 2011-2020“ ist online verfügbar:

www.agdd.de/entwicklungsdienst_verbleibstudie_2021
The report is currently available in German, only. However, the summary has been translated and can be found here: https://www.agdd.de/en/after/tracer-study-2021

 

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