Wie ist Friedensarbeit jetzt überhaupt noch möglich?

Im LHÜ-Leitartikel gibt Stefanie Wurm, vom Weltfriedensdienst e.V., einen Einblick in den Arbeitsalltag von WFD-Fachkräften in ihren Einsatzländern und berichtet darüber, wie Friedensarbeit zusammen mit den Partnerorganisationen trotz schwierigster Umstände weitergeht. Über internationale Partnerstrukturen, Friedensförderung und Gewaltprävention in Zeiten von Corona, deren friedensstiftende Wirkungen gerade in Zeiten gewaltiger Herausforderungen unerlässlich ist.


„Fakt ist: Die Pandemie trifft die Menschen in fragilen Staaten besonders hart – Menschen, die ohnehin schon mit Armut, Hunger, Gewalt, Flucht oder den Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert sind.

Wenn ein ganzes Land monatelang im Lockdown verbringt wie Bolivien, wenn die Bauernmärkte geschlossen bleiben wie in Simbabwe, und im Ergebnis Getreide und Gemüse auf den Feldern verrotten und so kein Geld für Öl oder Seife, Schulgeld, den Bus oder das Handyguthaben reinkommt, verblasst die Angst vor dem Corona-Virus oft hinter der Frage: Woher die nächste Mahlzeit für die Familie nehmen?

Das ist ein gefährlicher Nährboden für Gewalt. Engpässe in der Versorgung, Einkommensverlust und Fehlinformationen verschärfen bestehende Konflikte. Soziale Spannungen und häusliche Gewalt nehmen drastisch zu.

Der Weltfriedensdienst hat seit 1959 langjährige vertrauensvolle Partnerschaften in seinen Einsatzländern aufgebaut. Gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen unterstützt er Menschen in Afrika, Lateinamerika und Asien, ihre Lebensumstände aus eigener Kraft zu verbessern. Als gemeinnützige Organisation der Entwicklungszusammenarbeit ist der Weltfriedensdienst in mehr als 20 Ländern rund um den Globus aktiv.

Wie sieht jetzt der Arbeitsalltag in den Projekten aus?

Friedensarbeit bedeutet für uns, Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen, den Dialog anzuregen und benachteiligte Gruppen dabei zu stärken, ihre Anliegen einzubringen. All das wird natürlich durch Lockdowns, Ausgangssperren, Reiseverbote, Versammlungsverbote, oder schlicht durch die Beschränkung der Kontakte ausgebremst.

Doch wie kann Friedensförderung und Gewaltprävention trotz aller Einschränkungen fortgeführt werden?

Von den Corona-Folgen sind unsere Partnerorganisationen weltweit sowohl im Verlauf der Pandemie als auch von Land zu Land in unterschiedlichem Maße betroffen. Treffen mit den Zielgruppen, Veranstaltungen, Gespräche und andere Formen der Zusammenarbeit verlagerten sich, wie überall auf der Welt, verstärkt in den digitalen Bereich.

Es zeigte sich etwa in Simbabwe, dass auch kleinere Organisationen imstande waren, ihre überwiegend ländlichen Zielgruppen in diese Prozesse einzubinden. Und das trotz schlechter Strom- und Telekommunikationsinfrastruktur, fehlender Endgeräte in den Gemeinden und zunächst nicht entwickelter digitaler Kompetenzen.

Unsere Partnerorganisation richtete dazu WhatsApp-Gruppen und Kommunikationsstrukturen ein, die einen regelmäßigen Austausch beispielsweise mit den Gemeindevertretern und den Kontakt der Zielgruppen untereinander ermöglichten. Dafür mussten Smartphones gekauft und Schulungen im Umgang mit sozialen Medien angeboten werden. Auf diese Weise waren etwa Friedenskomitees trotz massiver Mobilitätseinschränkungen imstande, die Konfliktbearbeitung zu den Themen Kindesmissbrauch, häusliche Gewalt, Kinderheirat, Zugang zu Land und landwirtschaftlichen Ressourcen, parteiische Verteilung von Hilfsgütern und Benachteiligung von vulnerablen Familien reduziert, aber dennoch wirksam fortzusetzen.

Dieses Beispiel zeigt, mit welcher beeindruckenden Flexibilität unsere Partnerorganisationen jetzt mit der Krise umgehen. In unserem Corona-Liveblog auf der Website informieren wir, wie unsere Friedensarbeit konkret unter Pandemie-Bedingungen aussieht und wie unsere Kolleg*innen vor Ort trotz der Einschränkungen weiterarbeiten.

Es hat sich gezeigt, dass digitale Formate auch künftig hilfreich sein können, um sich intensiver, zeitnaher oder mit größeren Gruppen über große Distanzen auszutauschen oder Wissen weiterzugeben. Zweifelsfrei ist die Digitalisierung hilfreich, doch sie ersetzt die direkte, persönliche Kommunikation nur sehr bedingt.

Das Herzstück unserer Friedensarbeit ist ja die physische Begegnung mit unseren zumeist ländlichen Zielgruppen auf Augenhöhe. Gerade bei der Unterstützung marginalisierte Gemeinschaften, in denen Feierlichkeiten und die Gemeinschaft stärkende Rituale wie gemeinsame Mahlzeiten eine persönliche Verbindung schaffen, hinterlassen Kontaktbeschränkungen, Hygiene- und Abstandsregeln eine schmerzliche Lücke, welche die Digitalisierung sicher nicht dauerhaft abfedern kann. In Guinea-Bissau beispielsweise arbeiten wir mit bewaffneten Gruppen in einer von Kriegen geprägten Gesellschaft und nutzen Rollenspiele in Form des „Theaters der Unterdrückten“. Die Theaterworkshops sind von Mitte März bis Ende September eingestellt worden. Das wirft die Projekte natürlich zurück. „Früher verwendeten wir Gegenstände wie Bälle, die als „Mikrofon“ bei Wortmeldungen im Kreis herumgereicht wurden – diese sind nun unsichtbar geworden“, berichteten unsere Kolleginnen vor Ort. Die konkrete vertrauensvolle Zusammenarbeit vor Ort verlangt einen direkten persönlichen Austausch, gerade dann, wenn neue Projekte geplant und umgesetzt werden sollen.”

Stefanie Wurm, Weltfriedensdienst e.V.

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